VVG § 86 Abs. 2; ZPO § 85 Abs. 2
Leitsatz
1. Bei Verletzung einer versicherungsrechtlichen Obliegenheit – hier: behaupteter Verstoß gegen das Aufgabeverbot des § 86 Abs. 2 VVG durch Abschluss eines Abfindungsvergleichs mit dem Schädiger – kann dem Versicherungsnehmer das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht gem. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden.
2. Der Abschluss eines Abfindungsvergleichs mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers stellt nicht regelmäßig die Aufgabe von auf den privaten Krankenversicherer übergangsfähigen Ansprüchen des Geschädigten dar.
(2. Leitsatz = Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Saarbrücken, Urt. v. 2.10.2019 – 5 U 106/18
Sachverhalt
Der Kl. unterhält bei der Bekl. eine private Krankheitskostenversicherung auf der Grundlage der MB/KK 2009. Am 3.9.2015 wurde er anlässlich eines Verkehrsunfalles verletzt und musste ärztlich behandelt werden. Die Bekl. übernahm tarifgemäß die Erstattung unfallbedingter Behandlungskosten des Kl., wofür sie von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners bislang Erstattungen i.H.v. insgesamt 21.552,72 EUR erhielt. Zum Zwecke der Entfernung von Schrauben und Platten werden noch zwei weitere Operationen am Bein und am Schlüsselbein erforderlich sein. Der Kl. führte vor dem LG Saarbrücken einen Rechtsstreit gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners, mit dem er u.a. Ersatz seiner materiellen Schäden, ein angemessenes Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht sämtlicher aus dem Unfall resultierender Schäden begehrte. Dieser Rechtsstreit wurde in der mündlichen Verhandlung vom 11.4.2017 durch einen Vergleich beendet, wonach sich die dortige Bekl. zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldbetrages von 15.000 EUR verpflichtete (Ziffer 1 des Vergleichs). Weiterhin heißt es in Ziffer 2:
Zitat
"Mit der Zahlung des in Ziffer 1. genannten Betrages sind sämtliche materiellen und immateriellen Ansprüche des Kl. gegen die Bekl. aus dem hier streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 3.9.2015 für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft endgültig erledigt und abgefunden. Dieser Abfindungsvergleich betrifft sämtliche Ansprüche, auch diejenigen, die hier nicht streitgegenständlich sind und nicht vorhersehbar sind".
Daraufhin berief sich die Bekl. auf eine Verletzung des Aufgabeverbotes (§ 86 Abs. 2 VVG).
2 Aus den Gründen:
"…"
Die Bekl. ist nicht infolge des am 11.4.2017 abgeschlossenen Vergleichs mit dem Unfallgegner des Kl. gem. § 86 Abs. 2 VVG (bzw. der inhaltsgleichen vertraglichen Regelung aus § 11 Abs. 2 und 3 MB/KK 09) von ihrer – im Übrigen unstreitigen – Eintrittspflicht für krankheitsbedingte Aufwendungen aus dem Versicherungsvertrag i.V.m. § 1 Abs. 1 und 2 MB/KK 09 freigeworden.
a) Gem. § 86 Abs. 1 VVG geht ein dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. Nach § 86 Abs. 2 S. 1 VVG ist der Versicherungsnehmer gehalten, jenen Ersatzanspruch zu wahren und bei dessen Durchsetzung mitzuwirken. Verletzt er diese Obliegenheit vorsätzlich, ist der Versicherer zur Leistung insoweit nicht verpflichtet, als er infolgedessen keinen Ersatz von dem Dritten erlangen kann (§ 86 Abs. 2 S. 2 VVG). Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer (§ 86 Abs. 2 S. 3 VVG). Die Obliegenheit des § 86 Abs. 2 S. 1 VVG, in der das schon nach früherem Recht geltende versicherungsrechtliche “Aufgabeverbot' (§ 67 Abs. 1 S. 3 VVG a.F.) aufgegangen ist, verbietet dem Versicherungsnehmer jedes Handeln, das zum Verlust des übergangsfähigen Anspruchs führt oder seine Realisierung hindert (…). Sie gilt im Recht der Schadensversicherung, mithin auch für die private Krankheitskostenversicherung, soweit diese – wie hier – Versicherungsschutz nach den Grundsätzen der Schadensversicherung gewährt (§ 194 Abs. 1 S. 1 VVG; Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 86 Rn 3; BGH VersR 1973, 224).
b) Der Senat kann mangels Relevanz für die vorliegende Entscheidung offen lassen, ob der Kl. mit Abschluss des Prozessvergleichs am 11.4.2017 überhaupt wirksam zu Lasten der Bekl. – auch – auf seine Ersatzansprüche wegen unfallbedingter Krankheitskosten verzichtet und dadurch gegen die in § 86 Abs. 2 S. 1 VVG (bzw. § 11 Abs. 2 und 3 MB/KK 09) enthaltene Obliegenheit verstoßen hat; offensichtlich ist das jedenfalls nicht.
aa) Unstreitig standen dem Kl. zunächst aufgrund des am 3.9.2015 erlittenen Verkehrsunfalles (weitere) Schadensersatzansprüche, u.a. aus § 7 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, gegen den Unfallgegner sowie gem. § 115 Abs. 1 S. 1 VVG gegen dessen Pflichtversicherer zu, die im Leistungsfall nach Maßgabe des § 86 Abs. 1 VVG auf die Bekl. hätten übergehen können. Dabei vollzieht sich der Rechtsübergang – anders als im Sozialversicherungsrecht, § 116 Abs. 1 SGB X; dazu BGH VersR...