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[27] I. Die Bekl. haften dem Kl. samtverbindlich zu 70 % für dessen unfallbedingt entstandene Schäden. Dem Kl. ist ein Mitverschulden von 30 % hinsichtlich des nicht angelegten Sicherheitsgurtes zuzurechnen.

[28] 1. Die Abwägung und Gewichtung der Verursachungsbeiträge und des (Mit-) Verschuldens ist nach §§ 17 Abs.1, Abs. 2 StVG vorzunehmen, wobei eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insb. der genauen Klärung des Unfallhergangs geboten ist (Senat, Urt. v. 12.6.2015 – 10 U 3981/14, juris Rn 49, m.w.N.; Urt. v. 31.7.2015 – 10 U 4377/14, juris Rn 55, m.w.N.]). In erster Linie ist hierbei nach der st. Rspr. des BGH das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (vgl. BGH VersR 2011, 1540 Rn 14 m.w.N.).

[29] 2. Zwischen den Parteien ist der Unfallhergang unstreitig, weshalb die Bekl. zunächst zu 100 % für den Unfall haften, weil der Bekl. zu 2) durch sein Auffahren und die dadurch entstandene Kettenreaktion (Schieben des übernächsten Fahrzeugs in die vom Kl. benutzte Gegenfahrbahn) den Unfall verursacht hat. Bei Auffahrunfällen spricht bereits der erste Anschein dafür, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO), unaufmerksam war (§ 1 StVO) oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1 StVO; vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16, juris; BGH, Urt. v. 13.12.2011 – VI ZR 177/10, BGHZ 192, 84 Rn 7). Die Bekl. haben den für das Auffahren auf das vorausfahrende Fahrzeug wirkenden Anscheinsbeweis nicht entkräftet bzw. erschüttert, da sie der vom Kl. geschilderten Unfalldarstellung nicht entgegentreten sind.

[30] 3. Dennoch ist dem Kl. ein Mitverschulden von 30 % wegen der unstreitigen Nichtanlegung des Sicherheitsgurtes (Verstoß gegen § 21a Abs. 1 S. 1 StVO) vorzuwerfen.

[31] a) Im Falle von Verletzungen infolge eines Verkehrsunfalls besteht nur dann eine anspruchsmindernde Mithaftung des Geschädigten, wenn im Einzelfall festgestellt ist, dass nach der Art des Unfalls die erlittenen Verletzungen tatsächlich verhindert worden oder zumindest weniger schwerwiegend gewesen wären, wenn der Verletzte zum Zeitpunkt des Unfalls angeschnallt gewesen wäre (vgl. BGH NZV 2012, 478, 479; VersR 1980, 824 f.; BGHZ 74, 25, 33; Senat, Urt. v. 7.6.2013 – 10 U 1931/12, juris).

[32] b) Die Bemessung des Mitverschuldens wegen des Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes erfolgt einheitlich. Zwar mag der Umstand, dass der Kl. sich nicht angegurtet hatte, für jede der von ihm erlittenen Verletzungen – unbeschadet der Ursächlichkeit des Nichtanlegens des Gurtes für diese Verletzungen (mehrfragmentäre Querfraktur der Patella links, Längsfraktur der Patella rechts, offene Wunde am Knie rechts, Lungenlazeration, Verletzung der Arteria vertebralis, beidseitige Rippenserienfrakturen, traumatischer Pneumothorax, Lungenkontusion) – von unterschiedlichem Gewicht gewesen sein. Dies führt aber nicht dazu, dass der Geschädigte Schadensersatz nur für die Verletzungen verlangen kann, die er auch erlitten hätte, wäre er angegurtet gewesen.

[33] Nach herrschender Meinung in der Literatur und nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 21a StVO Rn 21 m.w.N.) ist es aus Gründen praktischer Handhabung geboten, bei verschiedener Auswirkung des Nichtangurtens auf einzelne Verletzungen unter Abwägung aller Umstände, insb. der von den Verletzungen ausgehenden Folgeschäden, deren vermögensrechtliches Gewicht je nach der Verletzung verschieden sein kann, der Verletzte also von einer Kürzung seiner Ersatzansprüche verschieden stark getroffen wird, eine einheitliche Mitschuldquote zu bilden (vgl. BGH, Urt. v. 28.2.2012 – VI ZR 10/11, juris; BGH, Urt. v. 1.4.1980 – VI ZR 40/79, juris).

[34] c) Grds. können dem Schädiger auch bei der Frage, ob die vom Geschädigten erlittenen Verletzungen ganz oder zum Teil auf das Nichtanlegen des Gurtes zurückzuführen sind, die Regeln des Anscheinsbeweises zugutekommen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Unfall einer der hierfür typischen Gruppen von Unfallabläufen zuzuordnen ist (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 21a StVO Rn 21 m.w.N.; BGH NJW 1980, 2125; BGH NJW 1991, 230, 231; OLG Hamm VRS 76, 112, 114), was hier der Fall ist. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. S. erfolgte die Kollision zwischen den beteiligten Fahrzeugen frontal. Vom Senat wird nicht verkannt, dass nach den ergänzenden Angaben des Sachverständigen Dr. S. in seiner Anhörung das klägerische Fahrzeug nach der Kollision in eine leichte Drehbewegung geriet, was die geschilderten Folgen in Bezug auf die Kollision des Thorax mit dem Airbag hatte. Dennoch zeigt das unfallanalytisch/biomechanische Gutachten auf, dass die wesentlichen Krafteinwirkungen auf den Körper des Kl. typische Einwirkungen eines Frontalunfalls ...

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