1) Im Falle einer Unfallverletzung im Straßenverkehr bei nicht angelegtem Sicherheitsgurt kann eine anspruchsmindernde Mithaftung des Geschädigten nur dann angenommen werden, wenn feststeht, dass nach der Art des Unfalls die erlittenen Verletzungen entweder bei angelegtem Gurt verhindert worden wären oder jedenfalls weniger schwerwiegend gewesen wären.
2) Bei verschiedenen Verletzungen, bei denen sich der angelegte Gurt unterschiedlich ausgewirkt hätte, darf zusammenfassend eine einheitliche Mithaftungsquote gebildet werden.
3) Für die Feststellung der Ursächlichkeit des Nichtanlegens des Gurtes für Unfallverletzungen können nach Einholung eines medizinischen Gutachtens die Regeln des Anscheinsbeweises herangezogen werden. Die Einholung lediglich eines unfallanalytischen und verletzungsmechanischen Gutachtens genügt nicht, da der medizinischen Begutachtung die Letztentscheidung zukommt.
4) Auf den unfallbedingten Erwerbsschaden muss sich der Geschädigte ersparte Aufwendungen (Wegfall von Fahrtkosten, Verpflegungsmehrkosten, Kosten der Reinigung von Arbeitskleidung) anrechnen lassen, deren Pauschalbetrag zwischen 5 % und 10 % liegt. Der um die berufsbedingten Aufwendungen gekürzte Verdienstausfall ist bei der Bestimmung des ersatzfähigen Schadens aufgrund der Haftungsquote zu kürzen; ein Abzug von dem ohne Berücksichtigung der ersparten Aufwendungen ungekürzten Verdienstausfall ist fehlerhaft.
5) Der Geschädigte ist gehalten, unfallbedingte Beeinträchtigungen der Haushaltsführung durch Umorganisation oder den Einsatz technischer Hilfsmittel zu kompensieren. Eine Beeinträchtigung bis zu 10 % kann durch Umorganisation schadensvermeidend verhindert werden.
6) Der Geschädigte kann ein Schmerzensgeld im Wege der offenen Teilklage unter Beschränkung auf die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eingetretenen Schadensfolgen geltend machen.
7) Die sog. tagesgenaue Bemessung des Schmerzensgeldes, wie in dem "Handbuch Schmerzensgeld" von Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi dargestellt, stellt keine geeignete Methode zur Bestimmung des angemessenen Schmerzensgeldes dar. Die nach dieser Methode im ersten Schritt schematisierende Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) muss auf der zweiten Stufe durch Abstellen auf individualisierende Bewertungen der Umstände des Einzelfalls korrigiert werden, womit die zunächst erstrebte Erleichterung der Bestimmung des Schmerzensgeldes rückgängig gemacht wird.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG München, Urt. v. 25.10.2019 – 10 U 3171/18