VVG § 82 § 86 § 125; BRAO § 43a Abs. 4; ARB 2010 § 3a § 17
Leitsatz
Hat der Rechtsschutzversicherer auf der Grundlage eines ihm vollständig mitgeteilten Sachverhalts eine Deckungszusage erteilt, so kann er den Rechtsanwalt nicht wegen Erhebung einer von vornherein aussichtslosen Klage in Regress nehmen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG München, Urt. v. 25.11.2020 – 15 U 2415/20
Sachverhalt
Die Kl., ein Rechtsschutzversicherer, macht gegen den Bekl. übergegangene Schadensersatzansprüche wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrags geltend.
Der Bekl. vertrat den Zeugen M., einen VN der Kl., in einer zivilrechtlichen Angelegenheit. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Zeuge M., wie der Bekl. Rechtsanwalt, vertrat seinerseits ein Ehepaar in einer gerichtlichen Auseinandersetzung wegen eines Kaufes über die Internetplattform eBay. Der Anwalt der Gegenseite erstattete im Laufe der gerichtlichen Auseinandersetzung gegen den Zeugen M. Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung. Der zuständige StA B. leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen M. ein und ließ die beiden Mandanten des Zeugen M. als Zeugen vernehmen. Im Anschluss hieran wurde das Ermittlungsverfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Eine seitens des Zeugen M. gegen den gegnerischen Anwalt erstattete Strafanzeige wurde durch den zuständigen StA B. gem. § 152 Abs. 2 StPO eingestellt.
Der Zeuge M. beauftragte im Folgenden den Bekl., um zivilrechtliche Ansprüche gegen Herrn StA B. persönlich durchzusetzen.
Die Kl. erteilte auf Antrag des Bekl. dem Zeugen M. Deckungszusage für das außergerichtliche Tätigwerden und für das gerichtliche Verfahren 1. Instanz.
Sowohl vorgerichtlich als auch gerichtlich machte der Bekl. für den Zeugen M. Unterlassung- und Schadensersatzansprüche geltend. Die Klage wurde abgewiesen.
Für das Berufungsverfahren verweigerte die Kl. die Deckungszusage.
Anschließend machte die Kl. gegenüber dem Bekl. mit Anwaltsschreiben vom 20.11.2018 einen Anspruch i.H.v. 6.044,87 EUR geltend, in Höhe der von ihr getragenen Kosten.
Das LG hat den Bekl. zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt.
2 Aus den Gründen:
"… Die Berufung des Bekl. hat Erfolg."
A)1. Vorliegen einer Pflichtverletzung
Das LG differenziert im Ausgangspunkt zutreffend zwischen einer Klage ohne (jegliche) Erfolgsaussicht und einer Klage mit (äußerst) geringer Erfolgsaussicht. Aus seiner Sicht ist es insoweit konsequent zu dem Ergebnis gekommen, dass der Bekl. – nachdem er nicht über die fehlende Erfolgsaussicht belehrt habe, sondern nur über die geringen Erfolgsaussichten – eine Pflichtverletzung begangen habe.
In der vorliegenden Konstellation kann der Senat diese Bewertung im Ergebnis nicht teilen:
Im Ausgangspunkt ist zunächst festzustellen, dass die Abgrenzung zwischen einer Klage, der die Erfolgsaussicht völlig fehlt und einer Klage, die (wenn auch nur) geringe Erfolgsaussichten hat, im Einzelfall äußerst schwierig zu treffen sein kann; dennoch ist dem Rechtsanwalt grds. zuzumuten, diese Abgrenzung vorzunehmen und seinen Mandanten entsprechend zu beraten. Auf der anderen Seite hat der Rechtsanwalt – als ausschließlicher Interessenvertreter seines Mandanten – aber auch dessen Wunsch nach Rechtsverfolgung zu berücksichtigen und soweit möglich umzusetzen. Der Mandant des Bekl., der Zeuge M., hatte – nachdem er das Vorgehen des StA als diskriminierend empfunden hatte – den Wunsch, diesen persönlich zu verklagen. Ausweislich der Angaben des Zeugen M. sei man in der Beratung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Freistaat Bayern bei einem vorsätzlichen Handeln des Beamten nicht haften würde und der Bekl. geäußert habe, es sei schwierig gegen den StA vorzugehen. Man habe dann vereinbart, dass die Versicherung die Erfolgsaussichten prüfen sollte und für den Fall, dass eine Kostendeckungszusage erreicht werde, die Klage eingereicht werden solle. Für diesen Fall habe er einen Klageauftrag erteilt.
Dieses Vorgehen stellt aus Sicht des Senats keine Pflichtverletzung des Bekl. dar, da dem Mandanten von vornherein kein Schaden entstehen konnte (…). Zwar sind grds. an die Belehrungspflicht eines Anwalts gegenüber einem rechtsschutzversicherten Mandanten keine geringeren Anforderungen zu stellen als gegenüber einem nicht rechtsschutzversicherten Mandanten. Gerade aber in Konstellationen, in denen die Abgrenzung zwischen einer Klage, der völlig die Erfolgsaussicht fehlt und einer Klage, die (äußerst geringe) Erfolgsaussichten hat, schwierig ist, erscheint es dem Senat zulässig, in ausdrücklicher Abstimmung mit dem rechtsschutzversicherten Mandanten die Frage der Klageerhebung von einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung abhängig zu machen. Die Schwierigkeit der Abgrenzung vorliegend zeigt sich im Übrigen auch aus den Ausführungen des LG wenn es (…) zunächst davon spricht, dass von vornherein keinerlei Erfolgsaussichten für ein Vorgehen gegen den StA bestanden hätten, (…) dem Bekl. dann aber vorwirft, nur in unschlüssiger Art und Weise eine Diskriminierung des Zeugen M. in seiner Klage in den Raum gestellt zu haben. ...