Entscheidungsstichwort (Thema)

Regressanspruch des Rechtsschutzversicherers: Rechtsanwaltshaftung wegen Schlechterfüllung des Anwaltsvertrags nach Erteilung einer Deckungszusage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zwar sind an die anwaltliche Belehrungspflicht gegenüber einem rechtsschutzversicherten Mandanten grundsätzlich keine geringeren Anforderungen zu stellen als gegenüber einem nicht rechtsschutzversicherten Mandanten, aber gerade in Fällen, in denen die Abgrenzung zwischen einer völlig erfolglosen Klage und einer Klage, die (äußerst geringe) Erfolgsaussichten hat, schwierig ist, erscheint es zulässig, die Klageerhebung von der Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers abhängig zu machen. (Rn. 35)

2. Solange der Rechtsanwalt der Obliegenheit des Mandanten gegenüber der Rechtsschutzversicherung über die zutreffende Information hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten des Falls nachkommt, bewegt er sich im Rahmen der zu wahrenden Mandanteninteressen. Im Hinblick darauf, dass der Mandant gegenüber dem Rechtsschutzversicherer keine Aufklärungspflicht in rechtlicher Sicht hat, muss der Anwalt aus den Mandanteninteressen nicht ableiten, dass er von einer Klage ohne Erfolgsaussichten auszugehen hatte und daher auch keine Deckungsanfrage hätte stellen dürfen. Im Rahmen der erteilten Deckungszusage oblag die Beurteilung der rechtlichen Erfolgsaussicht des betreffenden Sachverhalts ausschließlich dem Rechtsschutzversicherer. (Rn. 36)

3. In Fällen, in denen eine Abgrenzung zwischen erfolgloser Klage und Klage mit geringer Erfolgsaussicht schwierig ist, kommt einen Rückgriff des Rechtsschutzversicherers gegen den Rechtsanwalt nach erteilter Deckungszusage nicht in Betracht, sofern eine zutreffende Information über den zu beurteilenden Sachverhalt erfolgt ist. (Rn. 45)

4. Die Deckungsanfrage eines Rechtsanwalts ist auch dann nicht als zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten zu qualifizieren, wenn die Erfolgsaussichten objektiv extrem risikobehaftet oder nicht gegeben sind, sofern eine zutreffende Aufklärung über den betreffenden Sachverhalt erfolgt ist. (Rn. 64)

5. Beauftragt der Versicherungsnehmer den Rechtsanwalt unter der Bedingung, dass der Rechtsschutzversicherer eine Deckungszusage erteilt, wird er im Moment des Bedingungseintritts formal zum Kostenschuldner. Innerhalb der gleichen juristischen Sekunde erwirbt er jedoch einen Befreiungsanspruch gegen seinen Rechtsschutzversicherer, so dass ihm aus einer Schlechterfüllung des Anwaltsvertrags kein Vermögensschaden entsteht. (Rn. 44)

6. Ein Rechtsanwalt, der die Korrespondenz mit dem Versicherer führt, ist nicht Repräsentant des Mandanten, da sein Aufgabenbereich auf die Interessenwahrnehmung im Einzelfall beschränkt ist. Weiterhin ist er hinsichtlich der Obliegenheit zur Geringhaltung der Kosten auch kein Wissenserklärungsvertreter. (Rn. 58)

 

Normenkette

ARB §§ 3a, 17; BRAO § 43a Abs. 4; VVG § 82 Abs. 1, §§ 86, 128

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 18.03.2020; Aktenzeichen 30 O 4201/19)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 18.03.2020, Az.: 30 O 4201/19, aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 6.044,87 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin, ein Rechtsschutzversicherer, macht gegen den Beklagten nach § 86 VVG übergegangene Schadensersatzansprüche wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrags geltend.

Der Beklagte vertrat den Zeugen ..., einen Versicherungsnehmer der Klägerin, in einer zivilrechtlichen Angelegenheit. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Zeuge ..., wie der Beklagte Rechtsanwalt, vertrat seinerseits ein Ehepaar in einer gerichtlichen Auseinandersetzung wegen eines Kaufes über die Internetplattform eBay. Der Anwalt der Gegenseite erstattete im Laufe der gerichtlichen Auseinandersetzung gegen den Zeugen ... Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung. Der bei der Staatsanwaltschaft München I zuständige Staatsanwalt ... leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen ... ein und ließ die beiden Mandanten des Zeugen ... über die Polizei ihrerseits als Zeugen vernehmen. Im Anschluss hieran wurde das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Eine seitens des Zeugen ... gegen den gegnerischen Anwalt erstattete Strafanzeige wurde durch den zuständigen Staatsanwalt ... gemäß § 152 Abs. 2 StPO eingestellt.

Der Zeuge ... beauftragte im Folgenden den Beklagten, um zivilrechtliche Ansprüche gegen Herrn Staatsanwalt ... persönlich durchzusetzen.

Die Klägerin erteilte auf Antrag des Beklagten dem Zeugen ... Deckungszusage für das außergerichtliche Tätigwerden und für das gerichtliche Verfahren 1. Instanz.

Sowohl vorgerichtlich als auch gerichtlich (Landgericht München I, Az.: 15 O 19170/16) machte der Beklagte für den Zeugen ... Unterlassung- und Schadensersatzansprüche geltend. Die Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das mit d...

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