Ob die Entscheidung des EuGH zur Unzulässigkeit von Abschalteinrichtungen zur Emissionskontrolle von Kfz-Motoren, damit auch der temperaturgesteuerten Abschalteinrichtung des Thermofensters zu einer zweiten Welle des Diesel-Abgasskandals führen wird, erscheint zweifelhaft.
1) Düstere Andeutungen über eine bevorstehende Klagewelle in milliardenschwerem Ausmaß erscheinen angesichts der bisherigen Bewältigung dieses Ausläufers des Dieselskandals weit übertrieben (vgl. Wessel DAR 2021, 366). in kaum messbarer Höhe hatten die Kl. wegen eines Thermofensters Erfolg. Nach Pressemitteilungen sollen von 50 Verfahren gegen VW vor OLG 49 zugunsten des Herstellers, von mehr als 250 gegen Daimler zwei zuungunsten des Herstellers vor OLG entschieden worden sein.
Eine wünschenswerte Klärung der allerdings überschaubaren Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Herstellerhaftung für Thermofenster vor dem BGH ist gescheitert. Termine im Oktober und Dezember 2020 sowie im März 2021 sind durch Rücknahmen der Revisionen der Erwerber aufgehoben worden.
Unten wird dargestellt, dass im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Kfz jedenfalls eine vertretbare, noch nicht endgültig geklärte Gesetzesauslegung vorlag, eine Unzulässigkeit des Thermofensters noch nicht feststand (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Frankfurt, Urt. v. 7.11.2919 – 8 U 19/18 Rn 32).
2) Der Schadensersatzanspruch des jeweiligen Erwerbers eines Kfz mit einem Thermofenster auf Erstattung des ggf. um eine Nutzungsausfallentschädigung verminderten Kaufpreises setzt neben der Unzulässigkeit des Thermofensters das Vorliegen der Voraussetzungen des § 826 BGB im Zeitpunkt des Inverkehrbringens voraus. Aufgrund der Entscheidung des EUGH vom 17.12.2020 (in diesem Heft) ist nunmehr verbindlich festgestellt und zugrunde zu legen, dass die als Thermofenster bezeichnete temperaturabhängige Abschalteinrichtung unzulässig ist. Alle vor der Veröffentlichung der Entscheidung des EuGH liegenden sich mit Schadensersatzansprüchen von Erwerbern von Kfz mit Thermofenstern befassenden Entscheidungen erörterten die Haftungsfrage hilfsweise unter der Annahme der Unzulässigkeit des Thermofensters. Das fand seine Rechtfertigung deshalb, weil der Schadensersatzanspruch nach nahezu einhelliger Meinung jedenfalls daran scheiterte, dass der für die Erfüllung des § 826 BGB erforderliche Vorsatz fehlte, vgl. die Nachweise in Fn 24 des Aufsatzes von Wessel a.a.O.
3) Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 826 BGB kann auch nicht durch die Übernahme der Begründung in den Fällen der Abgasrückführung im Rahmen des Prüfungsverfahrens zu Erlangung der Typengenehmigung (zusammengefasst in der Entscheidung des BGH v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19) dargestellt werden. In diesen Fällen lag eine Täuschung der Genehmigungsbehörde durch arglistige Überlistung hinsichtlich des Stickstoffausstoßes vor. In der vorliegenden Konstellation werden beim Einsatz des Thermofensters nicht auf dem Prüfstand und der Straße unterschiedliche Abgasrückführungsmodi aktiviert. Vielmehr wird durch das Thermofenstersystem temperaturabhängig die Abgasrückführung stärker oder weniger stark aktiviert. "Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand und bei denen Gesichtspunkte des Motors respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann es bei dem Fehlen von konkreten Anhaltspunkten nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden" (OLG Frankfurt, Beschl. v. 14.5.2020 – 3 U 48/20). Das setzt sich nicht in Gegensatz zu der Entscheidung des EuGH, da es für die Beurteilung der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung auf den Zeitpunkt der Herstellung und des Inverkehrbringens ankommt und zu diesem Zeitpunkt die Unzulässigerklärung noch nicht vorlag.
4) Voraussetzung für das Vorliegen eines Vorsatzes infolge des Einbaus und Inverkehrbringens des Thermofensters durch den Hersteller gegenüber dem Erwerber ist, dass es feststeht, dass Organe des Herstellers die Verwendung einer von ihnen als unzulässig erkannten temperaturabhängigen Abschalteinrichtung – des Thermofensters – mindestens billigend in Kauf genommen haben. Eine danach erforderliche positive Kenntnis kann nach den Umständen nicht begründet werden. Vor dem Erlass der Entscheidung des EuGH war die Frage der Zulässigkeit des Thermofensters umstritten.
Eine klare und eindeutige Rechtslage lag nicht vor (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 14.7.2020 – 3 U 48/20; OLG Köln I, Beschl. v. 4.7.2019 – I – 3U 148/18 Rn 6; OLG Koblenz, Urt. v. 18.11.2019 – 12 U 555/19). die aus der Sicht des Herstellers praktische Brauchbarkeit des Thermofensters sprach für dessen Zulässigkeit. Ohne den Einsatz der Abgasrückführung bestand die Gefahr der Versottung des Motors, da die unverbrannten Rückstände in den kalten Rohrleitungen kondensierten (vgl. OLG München, Beschl. v. 11.7.2019 –...