VVG § 125; ARB 2010 § 2 lit. e § 4 Abs. 1 S. 2
Leitsatz
Versicherungsfall in der Steuer-Rechtsschutzversicherung ist der Erlass des vom Versicherungsnehmer angefochtenen Steuerverwaltungsaktes. Dieser muss dem Versicherungsnehmer innerhalb des versicherten Zeitraums zugegangen sein.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 27.11.2020 – 8 U 2967/20
Sachverhalt
Die Parteien streiten über Deckungsschutz im Rahmen einer vom 21.8.2008 bis 1.1.2013 bestehenden Rechtsschutzversicherung. Dem Vertrag lagen die ARB zugrunde, die im Wesentlichen den MB ARB 2010 entsprechen. Hintergrund ist eine mit notariellem Vertrag v. 20.9.2012 erfolgte Übertragung des früheren einzelkaufmännischen Unternehmens des Kl. an die B. Diese bewertete das FG A. als entgeltliches Geschäft mit einem Veräußerungsgewinn von 891.347,00 EUR und erließ am 18.12.2014 einen Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 2012, in dem eine vom Kl. zu entrichtende Einkommensteuer von 345.578,00 EUR festgesetzt wurde. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kl. im September 2019 Klage gegen den vorbenannten Bescheid vor dem FG N. Die Bekl. lehnte einen Deckungsschutz für das finanzgerichtliche Verfahren ab. Dieses Verfahren wurde zwischenzeitlich übereinstimmend für erledigt erklärt und dem Finanzamt A. wurden mit Beschl. v. 30.9.2020 die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Das LG hat die auf Freistellung von Steuerberaterkosten i.H.v. 3.396,90 EUR, Zahlung von 284 EUR und Feststellung der Leistungspflicht der Bekl. für das finanzgerichtliche Verfahren gerichtete Klage vollständig abgewiesen. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Angelegenheit zwar den vom Versicherungsvertrag umfassten Steuerrechtsschutz vor Gerichten für die Ausübung selbstständiger Tätigkeiten betreffen dürfte. Den Versicherungsfall bilde hier jedoch der Einkommensteuerbescheid v. 18.12.2014 und dieser sei erst nach Beendigung des Versicherungsschutzes erlassen worden. Aus § 4 Abs. 4 ARB ergebe sich keine andere Würdigung.
2 Aus den Gründen:
"… Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das LG einen Anspruch des Klägers aus § 125 VVG, § 2 lit. e) ARB verneint. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen."
1. Soweit der Kl. mit Schriftsatz v. 2.10.2020 mitgeteilt hat, es bestehe im Hinblick auf die Kostenentscheidung des FG N. kein wirtschaftliches Interesse mehr an der Fortführung des hiesigen Verfahrens, kann zunächst offen bleiben, ob hierdurch das Rechtsschutzbedürfnis an einer Hauptsacheentscheidung oder zumindest das Feststellungsinteresse für den Klageantrag zu III. entfallen ist.
Das rechtliche Interesse dürfte sich jedenfalls auf eine Entscheidung über die Kosten des vorliegenden Rechtsstreits verlagert haben. Dem Rechnung tragende Prozesserklärungen hat der Kl. jedoch bislang nicht abgegeben. Er hat lediglich ein Angebot bzw. denkbare Lösungen geäußert. Eine abschließende Erklärung ist trotz Aufforderung durch den Senat nicht erfolgt.
2. Unabhängig davon bestand keine Verpflichtung der Bekl., für das finanzgerichtliche Verfahren Rechtsschutz zu gewähren und die damit verbundenen Verfahrenskosten zu übernehmen. Dies hat die Vorinstanz zutreffend entschieden.
a) Der Eintritt des Rechtsschutzfalles (Versicherungsfalles) richtet sich im Streitfall nach § 4 Abs. 1 S. 1 lit. d) ARB (entspricht § 4 Abs. 1 S. 1 lit. c ARB 2010). Danach ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem ein anderer – hier das Finanzamt A. – nach den Behauptungen des VN einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen haben soll. Dieser Zeitpunkt muss nach Beginn des Versicherungsschutzes (einschl. einer Wartezeit von drei Monaten) und vor Beendigung des Versicherungsschutzes liegen (§ 4 Abs. 1 S. 2 ARB).
Begehrt der VN Deckungsschutz für die Verfolgung eines eigenen Rechtsschutzziels (“Aktivprozess'), richtet sich die Festlegung des verstoßabhängigen Rechtsschutzfalles i.S.v. § 4 Abs. 1 S. 1 lit. d) ARB allein nach der von ihm behaupteten Pflichtverletzung seines Anspruchsgegners, auf die er seinen Anspruch stützt (vgl. BGH zfs 2013, 394). Die vom Kl. unter dem 17.9.2019 vor dem Finanzgericht erhobene Anfechtungsklage (§§ 40 Abs. 1, 100 Abs. 1 FGO) richtete sich gegen die vom Finanzamt A. vorgenommene Einkommensteuerfestsetzung für 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung v. 11.9.2019. Gegenstand dieser Einspruchsentscheidung wiederum war der Einkommensteuerbescheid v. 18.2.2014 in Gestalt des Änderungsbescheides v. 31.7.2015. Diese Bescheide hat der Kl. als rechtswidrig angefochten.
Wendet sich der VN – wie hier – im Klagewege gegen einen ihn belastenden Verwaltungsakt, so stellt der Erlass dieses Verwaltungsakts den Eintritt des Versicherungsfalls in dem vorbenannten Sinne dar (vgl. LG Düsseldorf BeckRS 2019, 29542; Harbauer/Cornelius-Winkler, Rechtsschutzversicherung, 9. Aufl., ARB 2010 § 4 Rn 234; Bauer, DStR 2005, 1665, 1667). Der Bescheid muss dem VN während des nach § 4 Abs. 1 S. 2 ARB maßgeblichen Zeitraums zugestellt worden sein. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Der den Kl. belaste...