StVG § 7 Abs. 1; StVO § 10 S. 1 und S. 2; StVO § 6 § 11 Abs. 3 § 38 Abs. 3; StrWG NRW § 9a Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Fährt ein städtischer Unimog bei Mäharbeiten des Banketts rückwärts aus einer Haltebucht auf die Fahrbahn in einen vorbeifahrenden Pkw, liegt ein Unfall "bei Betrieb" im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG vor.
2. Dieser Fahrvorgang stellt einen Verstoß gegen § 10 Satz 1 und Satz 2 StVO dar, wenn der Fahrer des Unimogs Rückschau nur über eine Bordkamera vornimmt und den Fahrtrichtungsanzeiger nicht betätigt.
3. Zur fehlenden Kausalität eines etwaigen Verstoßes des Vorbeifahrenden gegen die Abstandsregelung des § 6 StVO.
4. Eine unklare Verkehrslage für den Vorbeifahrenden im Sinne des § 11 Abs. 3 StVO liegt nicht vor, wenn mit dem Rücksetzen des Unimogs nicht zu rechnen war und der Einsatz gelben Blinklichts im Sinne des § 38 Abs. 3 StVO nicht bewiesen ist.
5. Eine persönliche Haftung des Fahrers des städtischen Unimogs scheidet aus, wenn die Anstellungskörperschaft im Wege der befreienden gesetzlichen Schuldübernahme anstelle seiner Bediensteten haftet, weil der Fahrer eine hoheitliche Tätigkeit (hier nach § 9a Abs. 1 S. 1 StrWG NRW) vorgenommen hat.
OLG Hamm Urt. v. 21.12.2021 – 7 U 21/20
1 Aus den Gründen:
I. Die Berufung der Klägerin ist begründet, soweit sie sich gegen die vom Landgericht angenommene Mithaftung zu einer Quote von 25 % im Verhältnis zur Beklagten zu 2) wendet. Soweit die Klägerin ihre Ansprüche gegen den Beklagten zu 1) weiterverfolgt, bleibt ihre Berufung hingegen ohne Erfolg.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 2) über die bereits vorprozessual gezahlten Beträge hinaus einen Anspruch auf Zahlung von weiterem Schadenersatz aus §§ 7 Abs. 1, 17 StVG in Höhe von 6.221,44 EUR. Der Schadensersatzanspruch ist nicht gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG wegen einer Mithaftung der Klägerin zu kürzen.
a) Der streitgegenständliche Unfall, bei dem das Fahrzeug der Klägerin beschädigt wurde, hat sich zweifellos im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG beim Betrieb des von der Beklagten zu 2) gehaltenen und von dem Beklagten zu 1) gefahrenen Unimog ereignet. Hierbei war der Unimog nicht etwa nur als Arbeitsmaschine, sondern beim Rangieren auf der Straße als Verkehrsmittel im Einsatz. Höhere Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG liegt nicht vor. Die Gefährdungshaftung der Beklagten zu 2) als Halterin des Fahrzeugs wird auch nicht durch eine etwaige Amtshaftung gemäß § 839 BGB, Art.34 GG verdrängt, sie steht vielmehr selbstständig daneben (vgl. etwa BGH, Urt. v. 18.1.2015, VI ZR 115/04 – juris Rn 7).
b) Ein Haftungsausschluss wegen Vorliegens eines unabwendbaren Ereignisses i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG greift weder zugunsten der Beklagten zu 2) noch zugunsten der Klägerin.
Gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist die Verpflichtung zum Ersatz nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG für denjenigen ausgeschlossen, für den sich der Unfall als unabwendbares Ereignis darstellt. Unabwendbar in diesem Sinne ist nur ein Ereignis, das auch durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Der Fahrer muss sich wie ein "Idealfahrer" verhalten haben. Hierzu gehört ein Fahrverhalten, das in der konkreten Verkehrssituation alle möglichen Gefahrmomente sowie auch fremde Fahrfehler in Rechnung stellt und berücksichtigt. Notwendig ist daher eine über den gewöhnlichen Fahrerdurchschnitt erheblich hinausgehende Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht und ein über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinausreichendes geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln. Ein "Idealfahrer" hält nicht nur alle Verkehrsvorschriften ein. Er stellt seine Fahrweise vielmehr auch von vornherein darauf ein, Gefahrsituationen nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines unabwendbaren Ereignisses trägt jeweils die Partei, die sich darauf beruft (vgl. zum Ganzen etwa BeckOGK/Walter, § 17 StVG Rn.14 f u. Rn 26; Senat, Urt. v. 3.6.2016, Az.: 7 U 14/16, juris – Rn 23, jeweils m.w.N.).
aa) Die Beklagte zu 2) macht eine Unabwendbarkeit des Unfallereignisses zurecht nicht geltend, sondern akzeptiert die vom Landgericht angenommene Haftungsquote von 75 % zu ihren Lasten.
bb) Auch zugunsten der Klägerin kann eine Unvermeidbarkeit des Unfallereignisses nicht festgestellt werden. Den ihr obliegenden Nachweis, dass auch ein "Idealfahrer" den Unfall nicht hätte abwenden können, hat die Klägerin nicht geführt. Nach der Bekundung des Zeugen A hat dieser als Fahrer des Klägerfahrzeugs die Verkehrssituation unrichtig dahingehend verstanden, der Beklagte zu 1) habe ihm "Platz machen" wollen. Ein besonders umsichtiger Fahrer, der alle möglichen Gefahrmomente sowie auch fremde Fahrfehler in Rechnung stellt, hätte auf diese (objektiv unrichtige) Erkenntnis nicht ohne Weiteres vertraut, sondern sich vor einem Vorbeifahren an dem Unimog bemerkbar gemacht bzw. im Idealfall versucht, eine Verständigung mit dem Fahrer des Unimogs herbeizuführen. Dies gilt umso mehr, als nach den Feststellungen des Landgerichts, an deren Vollständigkeit und Ric...