GG Art. 103 Abs. 1; StPO § 344 Abs. 2 S. 2; OWiG §§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9; 51 Abs. 3 S. 1; 60; 74 Abs. 2
Leitsatz
Vor einer Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG gebietet es die Aufklärungs- bzw. Fürsorgepflicht, dass der Richter sich vor der Verkündung des Verwerfungsurteils bei der Geschäftsstelle informiert, ob dort eine Entschuldigungsnachricht des Betroffenen vorliegt. Die Aufklärungspflicht gebietet es dagegen nicht, (auch) bei der allgemeinen gerichtlichen Eingangsstelle nachzuforschen, ob dort eine entsprechende Nachricht des Betroffenen eingegangen ist (Anschluss an BayObLG VRS 83, 56 und OLG Köln VRS 93, 357).
(Gerichtlich autorisierte Leitsätze)
OLG Bamberg, Beschl. v. 27. 1. 2009 – 2 Ss OWi 1613/08
Sachverhalt
Mit Bußgeldbescheid vom 11.7.2007 wurde gegen den Betr. wegen einer am 23.5.2007 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung um 51 km/h eine Geldbuße von 300 EUR und ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt. Den hiergegen gerichteten Einspruch verwarf das AG mit Urt. v. 30.10.2008 gem. § 74 II OWiG, weil der ordnungsgemäß geladene und über die Folgen eines nicht genügend entschuldigten Ausbleibens belehrte sowie von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung nicht entbundene Betr. ohne Entschuldigung zum Termin nicht erschienen war.
Die Rechtsbeschwerde des Betr. blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: „ … 1. Die Entscheidung des AG, den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gem. § 74 II zu verwerfen, ist frei von Rechtsfehlern.
a) Die Verfahrensrüge erfüllt die Anforderungen des § 344 II 2 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG. Das Vorbringen in der Rechtsbeschwerdebegründung enthält die Mitteilung, wann und mit welchem Inhalt der Schriftsatz der Verteidigung vom 30.10.2008 vor Verhandlungsbeginn beim AG eingegangen ist. Dies genügt zur Überprüfung, ob das Gericht eine ihm bekannte Tatsache rechtlich unzutreffend gewürdigt oder sich mit ihr in den Urteilsgründen nicht auseinandergesetzt hat bzw. eine Tatsache nicht zur Kenntnis genommen hat, obwohl es diese hätte zur Kenntnis nehmen können.
b) Die Verfahrensrüge bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Nach dem durch die Verfahrensakten bewiesenen Rechtsbeschwerdevorbringen liegt der Formrüge folgender Verfahrensgang zugrunde: Die Hauptverhandlung am 30.10.2008 war auf 15.00 Uhr anberaumt. Mit am selben Tag um 13.56 Uhr an die Wachtmeisterei des AG übermitteltem, aus zehn Seiten bestehenden Telefax führte der Verteidiger u.a. aus: "Der guten Ordnung halber erkläre ich, dass der Betr. zum Vorfallszeitpunkt der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen ist, jedoch niemals eine Geschwindigkeit von 151 km/h gefahren ist. Er will zum Gerichtstermin nicht erscheinen." Oberhalb des Briefkopfes dieses Schreibens war der handschriftliche Zusatz: "Eilt! Bitte sofort vorlegen!" angebracht. Ein Hinweis auf den auf 15.00 Uhr anberaumten Hauptverhandlungstermin war nicht enthalten. Zur Hauptverhandlung erschienen weder der Betr. noch sein Verteidiger. Nach einer ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls von der Amtsrichterin geführten Rücksprache bei der Strafgeschäftsstelle lag dort keine Entschuldigung vor. Das AG verwarf daraufhin den Einspruch des Betr. gem. § 74 II OWiG. Das Telefax des Verteidigers gelangte einem vom 31.10.2008 datierenden Aktenvermerk der Geschäftsstellenbeamtin zufolge am 31.10.2008 gegen 07.00 Uhr zur Geschäftsstelle.
aa) Zwar hat das Gericht nach § 73 II OWiG den Betr. auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder wenn er erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht (weiter) zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht (mehr) in das Ermessen des Gerichts gestellt. Vielmehr ist das Gericht nunmehr verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 II OWiG vorliegen (OLG Karlsruhe zfs 2005, 154; KK-OWiG/Senge, 3. Aufl., § 73 Rn 23 m.w.N.).
bb) Vorliegend kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für eine Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen vorlagen, weil der – dem Beschwerdevorbringen zufolge – vor der Hauptverhandlung dem AG per Telefax übermittelte entsprechende Antrag des Betr. von der Tatrichterin zum Zeitpunkt der Verwerfungsentscheidung nicht berücksichtigt werden konnte und musste. Die Verteidigung beanstandet mit der Rechtsbeschwerde zu Unrecht, dass die Tatrichterin einen rechtzeitig eingegangenen Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen unbeachtet gelassen und rechtliches Gehör verletzt habe. Zwar kommt es bei einer Einspruchsverwerfung nach § 74 II OWiG für die Frage des Entschuldigtseins nicht darauf an, ob sich der Betr. entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist (stRspr., vgl. zuletzt u.a. OLG Bamberg DAR 2008, 305 m.w.N.; KK/Senge, OWiG 3. Aufl. § 74 Rn 35; Göhler, OWiG 14. Aufl. § 74 Rn 31) bzw. ob – wie hier – ein (begr...