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[7] 1. Das Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Bekl. als auch der Kl. grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kfz entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Dies ist zutreffend und wird von der Berufung auch nicht in Zweifel gezogen.
[8] 2. Weiterhin hat das Erstgericht einen Verstoß des Kl. gegen § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVO (Vorfahrt) angenommen. Auch dies hält einer berufungsgerichtlichen Überprüfung stand.
[9] a) Vorliegend hatte der aus der (…) kommende Verkehr aufgrund der Verkehrszeichenreglung (Zeichen 206 “STOP') dem auf der (…)-Straße fahrenden Verkehr die Vorfahrt zu gewähren, d.h. eine Einfahrt in den Kreuzungsbereich durfte nur erfolgen, wenn der bevorrechtigte Verkehr dadurch weder gefährdet noch wesentlich behindert wurde (§ 8 Abs. 2 S. 2 StVO).
[10] b) In der Rspr. ist anerkannt, dass bei einem Zusammenstoß eines bevorrechtigten Fahrzeugs mit einem wartepflichtigen Fahrzeug im Vorfahrtsbereich grundsätzlich ein Anscheinsbeweis für eine unfallursächliche Vorfahrtsverletzung durch den Wartepflichtigen spricht (BGH, st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 15.6.1982 – VI ZR 119/81, VersR 1982, 903 m.w.N.; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urt. v. 28.3.2014 – 13 S 196/13, Zfs 2014, 446 m.w.N.; Urt. v. 29.4.2016 – 13 S 3/16, NJW-RR 2016, 1307 m.w.N.).
[11] c) Das “Kerngeschehen' (hier einer Vorfahrtssituation) als solches ist nach der Rspr. des BGH (Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16, NJW 2017, 1177 m.w.N. zu den Grundsätzen des Anscheinsbeweises am Beispiel des Auffahrunfalls) als Grundlage eines Anscheinsbeweises allerdings dann nicht ausreichend, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen. Ob der Sachverhalt in diesem Sinne im Einzelfall wirklich typisch ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben. Steht jedoch nicht fest, ob über das – für sich gesehen typische – Kerngeschehen hinaus Umstände vorliegen, die, sollten sie gegeben sein, der Annahme der Typizität des Geschehens entgegenstünden, so bestehen gegen die Anwendung des Anscheinsbeweises keine Bedenken. Ist also ein Sachverhalt unstreitig, zugestanden oder positiv festgestellt, der die für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderliche Typizität aufweist, so obliegt es demjenigen, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis angewendet werden soll, darzulegen und gegebenenfalls, zu beweisen, dass weitere Umstände vorliegen, die dem feststehenden Sachverhalt die Typizität wieder nehmen; er hat den Anscheinsbeweis zu erschüttern (vgl. BGH a.a.O., NJW 2017, 1177).
[12] d) Vorliegend steht nach den gutachterlichen Darlegungen ein Geschwindigkeitsverstoß des Vorfahrtsberechtigten fest. Dieser muss vorkollisionär mindestens 61 km/h, kann aber auch bis zu 75 km/h gefahren sein. Ob darin ein Umstand liegt, der geeignet ist, die mit dem Kerngeschehen verbundene Typizität eines Vorfahrtsverstoßes in Frage zu stellen, kann hier dahinstehen. Denn der Geschwindigkeitsverstoß entlastet den Wartepflichtigen vorliegend nicht.
[13] Zwar hat der Wartepflichtige das Vorfahrtsrecht eines herannahenden Verkehrsteilnehmers nur dann zu beachten, wenn das bevorrechtigte Fahrzeug in dem Augenblick, in dem der Wartepflichtige mit dem Einfahren beginnt, bereits sichtbar ist. Die bloße Möglichkeit, dass auf der Vorfahrtstraße ein anderes Kfz herannahen könnte, löst noch keine Wartepflicht aus (vgl. BGH, Urt. v. 25.1.1994 – VI ZR 285/92, DAR 1994, 195; OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.2.2015 – I-1 U 41/14, LG Osnabrück, Urt. v. 14.3.2018 – 1 S 335/17, r+s 2018, 498). Hier kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass der Wartepflichtige das bevorrechtigte Beklagtenfahrzeug bei der nach § 8 Abs. 2 S. 2 StVO gebotenen Sorgfalt nicht hätte rechtzeitig wahrnehmen können (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 21.1.1986 – VI ZR 35/85, VersR 1986, 579; Kammer, Urt. v. 10.6.2011 – 13 S 40/11, NZV 2011, 607).
[14] Nach den Feststellungen des mit einer ergänzenden Begutachtung betrauten Sachverständigen Dr. (…) war der Kradfahrer für den Kl. in der Annäherung erkennbar. Ausgehend von einer technisch nachvollziehbaren Maximalgeschwindigkeit des Krads von 75 km/h und einer Anfahrbewegung des Kl. aus dem Stillstand von der Haltelinie bzw. Fahrbahnbegrenzungslinie aus – wovon sich die Kammer im Rahmen der persönlichen Anhörung des Kl. noch einmal überzeugt hat – hat sich das Krad bei Anfahrbeginn des klägerischen Fahrzeugs in einer Entfernung von 48 bis 65 m befunden, Die Sichtweite des Kl. auf den Kopf/Helm des Kradfahrers, welche die Kammer nach Auswer...