"… II. Die Beschwerde gegen den Beschl. des AG Lüdenscheid v. 11.9.2020 ist gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 304 Abs. 1 trotz der in § 305 S. 1 StPO aufgeführten Regelung ausnahmsweise zulässig und aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet."
1. Soweit die Kammer bislang die Auffassung vertreten hat, dass die gegen eine ablehnende Entscheidung auf Übermittlung von sog. Rohmessdaten eingelegte Beschwerde aufgrund der Regelung des § 305 S. 1 StPO unzulässig sei, folgt die Kammer dieser Einschätzung nunmehr nicht mehr. Die Kammer erachtet im vorliegenden Einzelfall die Beschwerde als zulässig, weil ein ungeschriebener Rückausnahmefall des § 305 StPO vorliegt. Dem Beschwerdeführer war insb. eine Verweisung auf einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als § 80 OWiG nicht zuzumuten.
Grds. hat der Beschwerdeführer zwar ein anhängiges Bußgeldverfahren zu durchlaufen und im Falle einer Verurteilung den hierfür vorgesehenen fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Insb. genügen sowohl finanzielle als auch aufgrund der zeitlichen Verzögerung resultierende Nachteile durch eine etwaige Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens nicht, das (erstmalige) Durchlaufen des fachgerichtlichen Verfahrens vor dem AG abzuwarten (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschl, v. 9.8.2007 – 2 BvR 1277/07, Rn 6, juris).
Allerdings kommt eine isolierte Anfechtung einer Zwischenentscheidung hier deshalb in Betracht, weil ihm die Verweisung auf eine Anfechtung der Endentscheidung im fachgerichtlichen Verfahren nicht zuzumuten ist. Denn aufgrund der Entscheidung des BVerfG v. 12.11.2020 (2 BvR 1616/18) steht dem Beschwerdeführer in gewissen Grenzen aus dem “fair-trial-Grundsatz' sowie dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) ein Recht zu, Unterlagen und Daten, die zum Zwecke der Ermittlungen entstanden sind, aber nicht Aktenbestandteil geworden sind, zu erlangen (wird unten ausgeführt). Dadurch, dass die Kammer – ebenso wie die Verwaltungsbehörde und alle sonstigen staatlichen Institutionen – an Recht und Gesetz gebunden ist, könnte durch eine Versagung des Rechtsschutzes im hiesigen Beschwerdeverfahren dem Beschwerdeführer (möglicherweise) das Recht entzogen werden, bereits im erstinstanzlichen fachgerichtlichen Verfahren jedenfalls die von ihm beanspruchten Rohmessdaten des in Rede stehenden Ordnungswidrigkeitenverfahrens zu erlangen und diese zur Verteidigung einzusetzen. Dass ein Anspruch auf die im Tenor genannten Daten, nunmehr besteht, ist bereits durch die dem Beschluss des BVerfG folgenden Entscheidungen der Fachgerichte zu entnehmen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 4.1.2021 – 202 ObOWi 1532/20, juris), so dass die Kammer als Ausfluss effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Zulässigkeit der Beschwerde annimmt. Zwar wird die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes von den Prozessordnungen gesichert, die ihrerseits Vorkehrungen treffen, damit der Rechtsschutzsuchende die von ihm behaupteten Rechte tatsächlich durchsetzen kann, so dass die Beschwerde an sich gem. § 305 S. 1 StPO unstatthaft wäre. Indes muss gleichfalls berücksichtigt werden, dass das Rechtsmittelgericht ein grds. statthaftes Rechtsmittel (§ 304 StPO), nicht ineffektiv machen darf. Wenngleich § 305 StPO daher eine gesetzliche Rückausnahme zu § 304 StPO begründet, ist anerkannt, dass über diese gesetzliche Rückausnahme gleichfalls auch ungeschriebene Rückausnahmen erfasst werden (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 24.8.2017 – 2 BvR 77/16, Rn 33, juris). Eine solche Konstellation einer ungeschriebenen Rückausnahme ist im vorliegenden Einzelfall gegeben, da der Beschwerdeführer – wie bereits ausgeführt – unter Umständen auf einen nicht zumutbaren Rechtsweg verwiesen wird, obgleich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dem Beschwerdeführer jedenfalls ein Anspruch auf die im Tenor genannten Rohmessdaten zusteht.
2. Die Beschwerde hat in der Sache hingegen nur aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Dem Beschwerdeführer steht ein Anspruch auf Übermittlung der Rohmessdaten, bezüglich des ihm zur Last gelegten Geschwindigkeitsverstoß in Schalksmühle zu. Er hat indes keinen Anspruch auf Übersendung der vollständigen Messreihe.
Der Anspruch resultiert – wie bereits ausgeführt – aus dem Recht auf ein faires Verfahren sowie der prozessualen Waffengleichheit. Dem Beschwerdeführer steht das Recht zu, durch die Möglichkeit der Einsicht und Prüfung der bei dem Messvorgang entstandenen Daten seine Verteidigungsmöglichkeiten umfassend wahrzunehmen, da er durch die Daten nach entlastenden Umständen suchen kann, um diese zum Gegenstand der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zu machen, wenngleich die Entlastungsmomente im Kontext von standardisierten Messverfahren gleichwohl eher fernliegen mögen. Dabei ist der Zugang zu den gewünschten Informationen aber an Voraussetzungen geknüpft, da andernfalls im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts die Gefahr der uferlosen Ausforschu...