VVG § 106 S. 1 § 110
Leitsatz
1. Zur Inanspruchnahme des Haftpflichtversicherers eines insolventen Schädigers durch den Geschädigten nach Feststellung des Haftpflichtanspruchs zur Tabelle.
2. Die Feststellung des Haftpflichtanspruchs des Geschädigten zur Tabelle bewirkt auch dann keine Bindung zulasten des Haftpflichtversicherers des Schädigers, wenn der Versicherer selbst am Insolvenzverfahren durch Anmeldung einer Forderung beteiligt war.
(Leitsatz 2: Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 10.3.2021 – IV ZR 309/19
Sachverhalt
Der Kl. nimmt den beklagten VR auf Leistungen aus einer von einer GmbH (VN) gehaltenen Verkehrshaftungsversicherung in Anspruch. Versichert war das Risiko der gesetzlichen Haftpflicht der VN als Umzugsunternehmen mit Lagerhaltung.
Der Kl. beauftragte die VN im Juni 2010 mit Umzugsleistungen sowie der Ein- und Auslagerung von Gegenständen. Er behauptet, es sei zu Schäden und Verlusten am Umzugsgut gekommen.
Über das Vermögen der VN wurde im September 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Streithelfer zu 1 der Bekl. zum Insolvenzverwalter (Streithelfer zu 2 der Bekl.) bestellt. Unter dem 18.10.2012 meldete der Kl. eine (Haftpflicht-)Forderung i.H.v. 33.530,15 EUR nebst 3.078,65 EUR Zinsen zur Tabelle an, die der Streithelfer zu 2 in voller Höhe feststellte. Er überließ dem Kl. mit Schreiben vom 11.12.2012 und 5.7.2013 die Geltendmachung des Deckungsanspruchs der VN gegen die Bekl. und ermächtigte ihn, den Anspruch auch gerichtlich zu verfolgen. Die Bekl. verwies darauf, den Schaden bereits mit einer – unstreitigen – Zahlung von 6.000 EUR abgegolten zu haben und lehnte eine weitere Regulierung ab. Im April 2018, während der Anhängigkeit des Rechtsstreits in zweiter Instanz, wurde das Insolvenzverfahren nach vollzogener Schlussverteilung, bei welcher der Kl.14.307,07 EUR erhielt, aufgehoben.
Das OLG hat die auf einen darüberhinausgehenden Schadensersatz gerichtete Klage abgewiesen.
2 Aus den Gründen:
"… Zu Recht hat das BG einen weiteren Anspruch des Kl. verneint. Dieser hat nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des BG einen Schaden von maximal 11.750 EUR erlitten und hierfür von der Bekl. sowie in der Schlussverteilung insg. 20.307,07 EUR erhalten. Entgegen der Auffassung der Revision kann der Kl. einen darüberhinausgehenden Anspruch gegen die Bekl. nicht auf die Feststellung einer höheren Forderung (33.530,15 EUR nebst 3.078,65 EUR Zinsen) zur Tabelle stützen. Die Annahme des BG, die Bekl. sei hieran nicht gebunden, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden."
1.a) Wie das BG zutreffend erkannt hat, räumt § 110 VVG dem Geschädigten bei Insolvenz des VN ein Recht auf abgesonderte Befriedigung an dessen Freistellungsanspruch gegen den Haftpflicht-VR ein, so dass der Geschädigte den Haftpflicht-VR des Schädigers ohne Pfändung und Überweisung des Deckungsanspruchs unmittelbar auf Zahlung in Anspruch nehmen kann (vgl. zu § 157 VVG in der bis 2007 geltenden Fassung [VVG a.F.] Senat VersR 2016, 783; VersR 2004, 634 jeweils m.w.N.). Voraussetzung für einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den VR ist aber – wie beim Zahlungsanspruch des VN – weiter, dass der Haftpflichtanspruch des Geschädigten gem. § 106 S. 1 VVG festgestellt worden ist, weil dieser durch § 110 VVG keine weitergehende Rechtsstellung als der VN erlangt (vgl. zu § 154 VVG a.F. Senat a.a.O. m.w.N.). Eine solche Feststellung kann nach dem Gesetz auch durch ein Anerkenntnis des Haftpflichtanspruchs erfolgen, sei es durch den (nicht insolventen) VN, sei es durch den Insolvenzverwalter (…).
b) Der Senat ist zum VVG a.F. davon ausgegangen, dass in der widerspruchslosen Feststellung des Haftpflichtanspruchs des Geschädigten zur Tabelle ein Anerkenntnis i.S.v. § 154 Abs. 1 S. 1 VVG a.F. liegt (Senat VersR 2004, 634 1991, 414; …). Hieran hält der Senat für das neue Recht (§ 106 S. 1 VVG) fest (ebenso Armbrüster, r+s 2010, 441, 453; Heinrichs in Staudinger/Halm/Wendt, VVG 2. Aufl. § 105 Rn 6; …). Gründe für eine abweichende Beurteilung sind – auch nach Würdigung des Parteivorbringens in der Revisionsinstanz – nicht ersichtlich.
c) Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der VR im Deckungsverhältnis gebunden ist. Nach dem VVG in der seit 2008 geltenden Fassung unterliegt das vom VN gegenüber dem Geschädigten erklärte Anerkenntnis zwar gem. § 105 VVG keinen bedingungsgemäßen Einschränkungen mehr, es bleibt aber grds. ohne Einfluss auf das Deckungsverhältnis. Verspricht der VN dem Geschädigten mehr als diesem zusteht, geht der Mehrbetrag zu Lasten des VN (BT-Drucks 16/3945 S. 86 li. Sp.). Nach dem Regelungsplan des neuen Rechts muss der VR die Möglichkeit haben, die Berechtigung des vom Geschädigten geltend gemachten Anspruchs zu prüfen (vgl. BT-Drucks 16/3945 S. 86 re. Sp.). Wird das Anerkenntnis ohne Zustimmung des VR abgegeben, kommt ihm bindende Wirkung i.S.v. § 106 S. 1 VVG deshalb regelmäßig nur in dem Umfang zu, in welchem eine Haftpflichtschuld des VN nach materieller Rechtslage tatsächlich besteht; Letzteres ist ggf. inzident im Deckungsprozess ge...