AUB 2016 Nr. 5.1.1
Leitsatz
Eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung, die zum Verlust von Leistungsaussprüchen aus einem Unfallversicherungsvertrag führt, liegt auch dann vor, wen eine Blutalkoholkonzentration gesichert ist, die nur geringfügig unter dem Wert von 1,1 Promille liegt und der Unfall auf einem alkoholtypischen Fahrfehler (hier: Abkommen von der Fahrbahn in einer übersichtlichen Rechtskurve bei trockener Fahrbahn) beruht.
OLG Dresden, Urt. v. 20.12.2021 – 4 U 2144/21
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Frage der Leistungspflicht der Bekl. aus einer Unfallversicherung.
Der Kl. hielt bei der Bekl. eine Vermögenssicherungspolice in die ein Unfallversicherungsvertrag eingeschlossen war. Dem Vertrag lagen die AUB 2016 zugrunde.
In Ziff. 5 der AUB 2016 heißt es:
Zitat
5.1 Ausgeschlossene Unfälle Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle:
5.1.1 Unfälle der versicherten Person durch Bewusstseinsstörungen … Eine Bewusstseinsstörung liegt vor, wenn die versicherte Person in ihrer Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit so beeinträchtigt ist, dass sie den Anforderungen der konkreten Gefahrenlage nicht mehr gewachsen ist.
Ursachen für die Bewusstseinsstörung können sein:
– Alkoholkonsum, …
Beispiele: Die versicherte Person …
– kommt unter Alkoholeinfluss mit dem Fahrzeug von der Straße ab. …
Der Kl. erlitt am 4.8.2017 mit seinem Kraftrad einen Verkehrsunfall, bei dem er schwer verletzt wurde. Er befuhr mit seinem Kraftrad zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen 00.30 Uhr und 4:30 Uhr die B … von H … kommend in Richtung L … , als er in einer leichten Rechtskurve nach links von der Fahrbahn abkam und sich auf dem angrenzenden Feld überschlug. Nachdem er gegen 4:30 Uhr dort aufgefunden wurde, wurde durch die hinzugezogene Polizei um 5:12 Uhr ein Atemalkoholtest durchgeführt, der einen Wert von 0,53 mg/l (= BAK-Wert 1,06 ‰) ergab. Eine weitere Blutentnahme zur Vorbereitung einer Operation wurde um 5:44 Uhr im Klinikum G durchgeführt und ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,04 ‰.
Die zulässige Berufung des Kl. bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg …
2 Aus den Gründen:
Der Kl. hat wegen seines Verkehrsunfalls vom 4.8.2017 keinen Anspruch gegen die Bekl. aus dem Versicherungsvertrag. Das LG hat zu Recht die Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses gemäß Nr. 5.1.1. AUB bejaht, da der Unfall infolge einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung eingetreten ist.
Bewusstseinsstörung im Sinne der Nr. 5.1.1 AUB sind alle, insbesondere auf Alkoholgenuss beruhenden erheblichen Störungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit, die den Versicherten außerstande setzen, Gefahrenlagen in der gebotenen Weise zu begegnen (BGH NJW 2008, 3644 …). Nach st. Rspr. wird bei Kraftfahrern, deren Blutalkoholkonzentration den Wert von 1,1 Promille erreicht, stets ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalles und ohne Zulassung des Gegenbeweises absolute Fahruntüchtigkeit angenommen, die zum Vorliegen einer anspruchausschließenden alkoholbedingten Bewusstseinsstörung führt (BGH NJW-RR 1986, 323). Unterschreitet der Alkoholisierungsgrad den maßgeblichen Grenzwert, so bedarf es weiterer äußerer Anzeichen, um eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit als Voraussetzung einer bedingungsgemäßen Bewusstseinsstörung anzunehmen. Der Schluss auf eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung lässt sich dann erst ziehen, wenn durch das Fehlverhalten des Verletzten belegt ist, dass dieser den Anforderungen der konkreten Gefahrensituation nicht mehr gewachsen war (OLG Hamm, r+s m.w.N.). Das kann nicht allgemein, sondern nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, weil die Frage, was genau dem Versicherten abverlangt wird, nur situationsbezogen beantwortbar ist (OLG Saarbrücken zfs 2015, 220 …). Die zur Bewusstseinsstörung führende Fahruntüchtigkeit muss anhand alkoholtypischer Fahrfehler oder sonstiger Ausfallerscheinungen festgestellt werden. Die Anforderungen an die Beweisanzeichen für das Vorliegen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen sind um so geringer, je stärker sich der Blutalkoholgehalt der Grenze von 1,1 Promille annähert (vgl. OLG Hamm zfs 2010, 634; HK-VVG/Karczewski § 81 VVG Rn 7 f; Jacob, VersR 2018, 75, Z6, beide m.w.N. aus der Rspr.). Die Beweislast für die hinreichende Alkoholisierung und damit die Bewusstseinsstörung liegt beim VR (Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl. 2013, Nr. 5 AUB 2010, Rn 13; OLG Rostock, zfs 2006, 222). Nach § 286 ZPO bedarf die gerichtliche Überzeugungsbildung, allgemeinen Grundsätzen entsprechend, eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet (…).
Die Anwendung dieser Grundsätze führt dazu, dass die Bekl. wegen einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung des Kl. leistungsfrei geworden ist.
Das LG ist auf der Grundlage des im Ermittlungsverfahren eingeholten rechtsmedizinischen Sachverständigengutachten des Dr. E … vom 19.2.2018 zu der Überzeugung gelangt, bei dem Kl. habe zumindest eine Blutalkoholkonzentration von 1,04 ‰ vorgelegen und hat ferner angenomm...