Einführung
Bei einer Prüfung eines gemeldeten Versicherungsfalls behält es sich der Kasko-Versicherer in den AKB vor, den Schaden durch einen eigenen Sachverständigen zu begutachten und übernimmt die Kosten eines anderen Sachverständigen nur dann, wenn dessen Beauftragung mit ihm abgesprochen gewesen ist. In der Praxis stellt sich dann die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Kasko-Versicherer gehalten ist, dieses Gutachten auch dem betroffenen Versicherungsnehmer zur Verfügung zu stellen. In Betracht kommen insoweit insbesondere eine Vorlage- bzw. Herausgabepflicht aus § 242 BGB einerseits und ein datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch andererseits, mit welchem eine Vorlage des Gutachtens als Kopie im Sinne des Art. 15 Abs. 3 DS-GVO verfolgt wird. Beide Anspruchsgrundlagen werden im Folgenden dargestellt, wobei auch zwischen Gutachten zur Ermittlung der (reinen) Schadenshöhe und darüber hinaus zur Überprüfung eines behaupteten Versicherungsfalls sowohl im Kasko- als auch Haftpflichtfall zu unterscheiden ist.
A. Vorlagepflicht aus § 242 BGB im Kaskofall
Das Vertragsverhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Kasko-Versicherer ist durch ein besonderes Treueverhältnis geprägt, welche den Parteien des Vertrags auch Pflichten auferlegen kann, welche über bestehende Vereinbarungen aus den AKB hinausgehen können. In den betroffenen AKB behält sich nun der Versicherer vor, entweder selbst einen Sachverständigen auf eigene Kosten zu beauftragen, während die Kosten für einen anderen ausgewählten Sachverständigen nur dann übernommen werden, wenn dessen Beauftragung mit ihm abgestimmt worden ist bzw. er dies später genehmigt. Vor diesem Hintergrund hat sich aus Treu und Glauben eine umfassende Rechtsprechung zu einer Vorlagepflicht des Versicherers, aber auch bestimmten Ausnahmen im Rahmen der Abwehr unberechtigter Ansprüche entwickelt.
I. Unterscheidung zwischen Gutachten
Dabei ist zwischen verschiedenen Arten von erstellten Sachverständigengutachten zu unterscheiden.
1. Gutachten zur Feststellung der Schadenshöhe
Im Regelfall geht es dabei um Sachverständigengutachten, die erstellt werden, um die Höhe eines eingetretenen Schadens festzustellen. Hier würde der Versicherungsnehmer schlechter gestellt, wenn ihm ein solches Gutachten mit einem entsprechenden Zahlenwerk nicht zur Verfügung gestellt wird, der Versicherer aber selbst über die Höhe des eingetretenen Schadens informiert ist und der Versicherungsnehmer trotz des bereits bestehenden Gutachtens mit zusätzlichem Aufwand einen eigenen Sachverständigen einschalten müsste. Folgerichtig dienen die Feststellungen zur Schadenshöhe im Auftrag des Versicherers auch gerade dem Interesse des Versicherungsnehmers, der im Gegenzug die Kosten für ein eigenes Gutachten grundsätzlich nicht erstattet erhält.
Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung für diese Gutachten zur Schadenshöhe auch die Verpflichtung des Versicherers entwickelt worden, ein solches Gutachten je nach den Umständen des Einzelfalls auch dem Versicherungsnehmer zur Verfügung zu stellen – entweder auf Grundlage des allgemeinen Rechtsgedankens nach Treu und Glauben nach § 242 BGB oder aber als nicht leistungsbezogene Nebenpflicht nach § 241 Abs. 2 BGB. Zumindest in den Fällen, bei denen der Versicherungsnehmer in dieser Weise auf die Schadensermittlung des Versicherers angewiesen ist, muss der Versicherer, damit seinerseits Waffengleichheit herrscht, grundsätzlich auch Einsicht in das Ergebnis des Sachverständigen erhalten. Für die Umsetzung in der Praxis gilt dabei Folgendes: Der Vollkaskoversicherer verletzt gegenüber dem Versicherungsnehmer zwar grundsätzlich weder eine versicherungsvertragliche noch eine leistungsunabhängige Rücksichts- oder leistungsbezogene Treuepflicht, wenn er dem Versicherungsnehmer ein ihm vorliegendes Schadensgutachten nicht unaufgefordert übersendet. Stellt der Vollkaskoversicherer das Schadensgutachten auf Anforderung dem Versicherungsnehmer aber nicht zur Verfügung, kann dies nach h.M. in der Rechtsprechung eine Treuepflichtverletzung darstellen.
Dabei ist aber auch zu beachten, dass einzelne Gerichte diese Vorlagepflicht auf den Fall einer Regulierungszusage des Versicherers beschränken, im Fall einer verweigerten Regulierung den Versicherungsnehmer dagegen auf die allgemeinen Beweislastgrundsätze verweisen und daher einen solchen Anspruch grundsätzlich ablehnen.