[…]
II. Das als statthafte Beschwerde auszulegende Schreiben des Angeklagten hat in der Sache Erfolg.
Nach § 111a StPO kann die Fahrerlaubnis vorläufig nur dann entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis gem. § 69 StGB endgültig entzogen wird. Dringende Gründe für den endgültigen Entzug der Fahrerlaubnis liegen vor, wenn dies in hohem Maße wahrscheinlich ist (BVerfG, Beschl. v. 25.4.1995 – 2 BvR 1847/94).
Die Kammer hält nach derzeitigem Ermittlungsstand einen endgültigen Entzug der Fahrerlaubnis zwar nicht für ausgeschlossen, gleichwohl aber nicht in hohem Maße für wahrscheinlich. Der Beschuldigte ist zwar dringend verdächtig, einen E-Scooter, des Typs … mit dem Versicherungskennzeichen … und somit ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt zu haben. Ob er infolge des Genusses alkoholischer Getränke jedoch nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen (§ 316 StGB), ist derzeit noch fraglich.
1) An der Fahrzeugqualität eines elektrisch angetriebenen Rollers (sog. E-Scooter) ist nicht zu zweifeln. Fahrzeug im Sinne dieser Norm sind nämliche Beförderungsmittel beliebiger Art zum Zweck der Fortbewegung im öffentlichen Verkehr. Unerheblich ist, ob sie durch Motorkraft angetrieben werden. Erfasst sind damit nicht nur sämtliche Kraftfahrzeuge, sondern z.B. auch reine Fahrräder, Segelboote oder Segelflugzeuge (vgl. nur Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 316, Rn 4).
2) Der Angeklagte war – unter Zugrundelegung des Ermittlungsstandes – zur Tatzeit auch erheblich alkoholisiert. Ob aber aufgrund der anzunehmenden tatzeitlichen Blutalkoholkonzentration von (mindestens) 1,49 ‰ auch von einer absoluten Fahruntüchtigkeit des Angeklagten auszugehen ist, kann derzeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Denn für die Heranziehung des Grenzwertes von 1,1 Promille, der für alkoholisierte Kraftfahrer gilt, fehlt es vorliegend in den Ermittlungen an Feststellungen zur fahrzeugtechnischen Einordnung des bei der Fahrt verwendeten Elektrorollers (vgl. BGH, Beschl. v. 2.3.2021 – 4 StR 366/20).
Ohne weitere Feststellung zum verwendeten Fahrzeug, dessen Parametern sowie insbesondere Geschwindigkeit ist derzeit ungeklärt, ob es sich bei diesem um ein Elektrokleinstfahrzeug im Sinne des § 1 eKFV gehandelt hat, also um ein Fahrzeug, dass gemäß § 1 Abs. 1 eKFV straßenverkehrsrechtlich zu den Kraftfahrzeugen im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG zählt. Denn für bestimmte Elektrofahrzeuge wurde in § 1 Abs. 3 StVG explizit bestimmt, dass es sich insoweit nicht um Kraftfahrzeuge im Sinne des Gesetzes handelt. Hierdurch ist eine Abklärung durch nähere Bestimmung und Bezeichnung der technischen Parameter, insbesondere der Höchstgeschwindigkeit des verwendeten Elektro-Fahrzeuges erforderlich. Zwar spricht für ein Kraftfahrzeug im Sinne von § 1 Abs. 2 StVG die Eigenschaft des verwendeten Rollers als Mietfahrzeug im Straßenverkehr mit Versicherungskennzeichen, aber ist dies allein ohne nähere Feststellungen zum verwendeten Elektrofahrzeug noch nicht ausreichend, um zu Lasten des Angeklagten von einem Kraftfahrzeug auszugehen.
3) Sofern eine relative alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Angeklagten im Hinblick auf das Führen eines Fahrzeuges, das kein Kraftfahrzeug ist, in Betracht kommt, bedarf es zusätzlich Tatsachen, welche den Nachweis alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit erbringen können. (BGH, Urt. v. 22.4.1982 – 4 StR 43/82, BGHSt 31, 42). Derartige Umstände haben weder das Gericht in seinem angegriffenen Beschluss noch die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift dargelegt. Soweit der Angeklagte nach der Sachverhaltsschilderung der Polizei an der Kreuzung …/… beim Überqueren der Kreuzung einen Rotlichtverstoß begangen haben soll, wurde bisher im Rahmen der Ermittlungen nicht geklärt, ob dies Folge seiner Alkoholisierung gewesen sein könnte. Die knappen polizeilichen Feststellungen hierzu in der Sachverhaltsaufnahme Bl. 3 d.A. erlauben es nicht nachzuvollziehen, ob ein solcher Fahrfehler dem Angeklagten in der konkreten Situation nicht auch ohne Alkoholeinfluss unterlaufen wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 29.11.1968 – 4 StR 399/68, DAR 1969, 105).
Nach der derzeitigen Aktenlage liegt daher noch kein dringender Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt vor, so dass derzeit dem Angeklagten nicht die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden kann.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO analog.
zfs 5/2023, S. 286 - 287