VVG § 100
Leitsatz
Wenn ein Schadensersatzanspruch des Haftpflichtversicherungsnehmers gegen den VR in Rede steht (und nicht ein vertraglicher Anspruch auf Versicherungsleistung), gelten nicht die Grundsätze über die – dem Geschädigten in Ausnahmefällen zustehende – vorweggenommene Deckungsklage.
OLG Hamm, Beschl. v. 11.11.2022 – 20 U 213/22
1 Sachverhalt
Der Geschädigte errichtete einen Stall, für den er bei der Kl. eine Gebäudeversicherung nahm. Mit Arbeiten an der Lüftungsanlage des Stalls beauftragte er ein Elektrounternehmen, durch dessen Arbeiten nach der Behauptung der Kl. ein Schaden entstand. Das Elektrounternehmen (Schädiger), über dessen Vermögen zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet ist, unterhielt eine Betriebshaftpflichtversicherung bei dem Bekl. Der Geschädigte und die Kl. meldeten ihre (vermeintlichen) Ansprüche im Insolvenzverfahren an. Der Insolvenzverwalter des Schädigers gab etwaige Ansprüche aus dem Haftpflichtverhältnis frei. Der Bekl. hat außergerichtlich erklärt, dass aus dem Haftpflichtverhältnis Deckungsschutz bis zu einer Summe von 1.000.000,00 EUR bestehe.
Die Kl. hat die Feststellung begehrt, dass der Bekl. über einen Betrag von 1.000.000,00 EUR hinaus bis zu einem Betrag von 2.061.948,63 EUR aus dem Versicherungsvertrag mit dem Schädiger Versicherungsschutz zu gewähren habe. Hierzu hat sie behauptet, dass der Versicherungsvertrag eine höhere als die von dem Bekl. angegebene Versicherungssumme beinhalte. Sollte eine Obergrenze von 1.000.000,00 EUR vereinbart sein, ergäben sich höhere Ansprüche wegen einer fehlerhaften Beratung, weil der Bekl. den Schädiger nicht über die zu geringe Deckungssumme beraten habe.
2 Aus den Gründen:
1. Die auf Feststeilung gerichtete Klage, dass der Bekl. dem Geschädigten auch über den Betrag von 1.000,000,00 EUR hinaus bis zu einem Betrag von 2.061.948,63 EUR aus dem Versicherungsvertrag Versicherungsschutz zu gewähren hat, hat keinen Erfolg.
a) Es kann dahinstehen, ob die insoweit von der Kl. erhobene Feststellungsklage als vorweggenommene Deckungsklage zulässig ist.
Außerhalb der Bereiche, in denen eine gesetzliche Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung besteht und in denen unter bestimmten Voraussetzungen ein Geschädigter gemäß § 115 VVG einen Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers haben kann, stehen Ansprüche aus dem Deckungsverhältnis gegen den VR nur dem Schädiger (und Haftpflicht-VN) zu. Das Deckungsverhältnis zwischen VR und Schädiger und das Haftpflichtverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger sind streng voneinander zu trennen (vgl. zum Trennungsprinzip Langheid/Rixecker-Langheid, VVG, 7. Auflage 2022, § 100 Rn 32 m.w.N.).
Der Geschädigte kann daher außerhalb des Anwendungsbereichs des § 115 VVG gegen den Haftpflichtversicherer im Regelfall nur vorgehen, wenn er aufgrund eines Titels gegen den Schädiger dessen Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer gepfändet und sich zur Einziehung hat überweisen lassen (vgl. Bruck/Möller-Beckmann, VVG, 10. Auflage 2022, § 115 Rn 19). Als Ausnahme hiervon bejaht die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung die Zulässigkeit einer vorweggenommenen Deckungsklage des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer aufgrund der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung dann, wenn die Gefahr besteht, dass dem Geschädigten der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt wegen Untätigkeit des VN verloren geht (BGH, Urt. v. 15.11.2000 – IV ZR 223/99; BGHZ 214, 314 ff., Rn 24 ff.), oder wenn der VR auf Anfrage des Geschädigten, ob Versicherungsschutz bestehe, keine oder keine eindeutige Antwort gibt oder die Auskunft verweigert (BGH, Beschl. v. 22.7.2009 – IV ZR 265/06, Rn 2).
Ausgehend von diesen Grundsätzen mag im Streitfall für den Geschädigten die Möglichkeit bestehen, die Bekl. auf Feststellung der Pflicht zur Gewährung von Versicherungsschutz in Anspruch zu nehmen, weil weder der Insolvenzverwalter des Geschädigten noch dieser selbst Ansprüche aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag geltend macht. Damit drohten Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag – wenn die Verjährung nicht schon im Jahre 2017 zu laufen begann und die Verjährung damit im Streitfall bei Klageerhebung bereits eingetreten war – alsbald zu verjähren und damit als Befriedigungsobjekt verloren zu gehen. Ob es so ist und dann der Anspruch auf die Kl. übergegangen ist, bedarf aber keiner Entscheidung. Die Feststellungsklage ist nämlich jedenfalls unbegründet.
b) Denn aus dem Versicherungsvertrag haftet der Bekl. nur bis zu der vertraglich vereinbarten Deckungssumme von 1.000.000,00 EUR, so dass die ausdrücklich auf die darüber hinausgehende Feststellung der Einstandspflicht des Bekl. jedenfalls unbegründet ist. Das LG hat festgestellt, dass der Haftpflichtversicherungsvertrag zwischen dem Bekl. und dem Schädiger für Personen- und Sachschäden eine Deckungsgrenze von 1.000.000,00 EUR vorsieht. Diese Feststellung greift die Kl. mit der Berufungsbegründung nicht hinreichend an …
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