StVG a.F. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y; FeV § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 § 11 Abs. 8 § 14 Abs. 1 S. 3 § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a; FeV Anlage 4 Nr. 9.2.2; Elektrokleinstfahrzeuge-VO § 1; StVO § 24 Abs. 1 S. 1; StVZO § 63a Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz
Die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Elektrokleinstfahrzeug (E-Scooter) unter der Wirkung von Cannabis, die den Bußgeldtatbestand des § 24a Abs. 2, Abs. 3 StVG erfüllt, begründet Zweifel hinsichtlich der Fahreignung nur für Kraftfahrzeuge, nicht aber für fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge, die keine Kraftfahrzeuge sind (insbesondere Fahrräder), und kann daher auch keine auf solche Fahrzeuge bezogene Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtfertigen.
BayVGH, Beschl. v. 15.3.2023 – 11 CS 23.59
1 Sachverhalt
Der am … … 2002 geborene Antragsteller wendet sich in diesem Beschwerdeverfahren gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag (Parallelverfahren BayVGH, Beschl. v. 15.3.2023 – 11 CS 23.44, Leits. unten) entzog das Landratsamt dem Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds zur Abgabe des Führerscheins.
2 Aus den Gründen: "… II.
[9] Die zulässige Beschwerde hat im tenorierten Umfang Erfolg. Die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ist voraussichtlich insoweit rechtswidrig, als sie sich auf Fahrzeuge erstreckt, die keine Kraftfahrzeuge (insbesondere Fahrräder) sind. Darüber hinaus ergibt sich aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der VGH beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 S. 1 und 6 VwGO), nicht, dass die erstinstanzliche Ablehnung des Antrags auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu beanstanden wäre [Vorinstanz: VG Bayreuth, Beschl. v. 21.12.2022 – B 1 S 22.1112].
[10] 1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist – wovon auch das VG zutreffend ausgegangen ist – der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – NJW 2021, 1970 Rn 10 ff.; BayVGH, Beschl. v. 25.4.2022 – 11 CS 21.2988 – juris Rn 11). Bei der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge handelt es sich im Unterschied zur Entziehung der Fahrerlaubnis um einen Dauerverwaltungsakt, da sich die Regelungswirkung nicht in einem einmaligen Verbot oder einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage in der Vergangenheit erschöpft, sondern sich das angeordnete Verbot fortlaufend verlängert und aktualisiert.
[11] 2. Erweist sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von Fahrzeugen, hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm nach § 3 Abs. 1 S. 1 FeV v. 13.12.2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2.3.2023 (BGBl I Nr. 56), das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen. Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Führer eines Fahrzeugs ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, finden nach § 3 Abs. 2 FeV die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung.
[12] Im Falle einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis ist nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung gegeben, wenn der Konsum und das Fahren getrennt werden (Trennungsgebot), kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen besteht und keine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt. Begründen bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung, etwa ein Verstoß gegen das Trennungsgebot, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 14 Abs. 1 S. 3 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen. Nach § 11 Abs. 8 S. 1 FeV darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn 19 m.w.N.).
[13] a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sind nicht erfüllt, soweit sie sich auf Fahrzeuge erstreckt, die keine Kraftfahrzeuge sind.
[14] Vorbehaltlich einer abschließenden Prüfung im Hauptsacheverfahren geht der Senat davon aus, dass die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Elektrokleinstfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis, die den Bußgeldtatbestand des § 24a Abs. 2, Abs. 3 StVG in der Fassung der Bekanntmachung v. 5.3.2003 (BGBl I S. 310, 919), zuletzt geändert durch Gesetz v. 2.3.2023 (BGBl I Nr. 56), erfüllt, jedenfalls keine Zweifel hinsichtlich der Fahreignung für sonstige fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge begründet, die keine Kraftfahrzeuge sind (insbesondere Fahrräder)...