Keine Untersagung des Führens von E-Scootern und Pedelecs
Auf Grundlage der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) kann die Fahrerlaubnisbehörde das Führen von Kraftfahrzeugen Personen verbieten, die sich durch Fahrten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen haben. Umstritten ist, ob die FeV eine hinreichende Rechtsgrundlage auch für die Untersagung des Führens von erlaubnisfreien Fahrzeugen bietet. Hierzu hat der BayVGH nun eine Entscheidung getroffen.
Kläger zweimal wegen erheblicher Trunkenheit auffällig
Dem Kläger des vom VGH entschiedenen Verfahrens war durch rechtskräftigen Strafbefehl im Januar 2016 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr (Blutalkoholkonzentration 1,82 Promille) die Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von einem Jahr entzogen worden. Eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis scheiterte daran, dass der Kläger das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht vorlegte. Bei einer Fahrt mit einem Mofa wurde beim Kläger im April 2021 eine Blutalkoholkonzentration von 1,24 Promille festgestellt. Wegen dieses Vergehens erging erneut ein Strafbefehl.
Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge
Nach wiederum vergeblicher Aufforderung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens untersagte das Landratsamt dem Kläger im Oktober 2021, fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, wobei nicht-motorisierte Fahrzeuge (Fahrräder ohne Hilfsmotor) von dem Verbot ausgenommen wurden. Die hiergegen gerichtete Klage wies das VG ab. Die gegen das Urteil des VG eingelegte Berufung hatte dagegen Erfolg.
Keine hinreichende Rechtsgrundlage in der FeV
Nach Auffassung des VGH bietet die FeV keine ausreichende Handhabe für eine Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde das Führen von Fahrzeugen zu untersagen oder zu beschränken, wenn sich jemand als ungeeignet oder nur bedingt geeignet zum Führen von Fahrzeugen erwiesen hat.
Unterschiedliches Gefahrenpotenzial verlangt Differenzierung
Nach der Bewertung des VGH enthält die Regelung hinreichend definierte Voraussetzungen für die Untersagung des Führens fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge. Die Gefahrenlage bei Führen eines fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugs sei mit der Gefahrenlage bei fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen aber nicht vergleichbar. Wegen des extrem unterschiedlichen Gefahrenpotenzials könnten die für die Untersagung des Führens von erlaubnispflichtigen Fahrzeugen geltenden Maßstäbe nicht eins zu eins auf das Führen von erlaubnisfreien Fahrzeugen übertragen werden.
Trennungsgebot schon bei der Begutachtung verletzt
Insoweit sah der VGH auch die erstinstanzlich angeordnete Begutachtung durch einen Fahreignungsgutachter kritisch. Der Fahreignungsgutachter habe insgesamt die Frage klären sollen, ob der Kläger zum Führen von Fahrzeugen geeignet ist. Bereits bei einer solchen Begutachtung sei das Trennungsgebot zu beachten, wonach unterschiedliche Kriterien an die Untersagung des Führens erlaubnispflichtiger Kraftfahrzeuge und des Führens erlaubnisfreier Fahrzeuge anzulegen seien. Die gestellte Gutachterfrage der Eignung zum Führen erlaubnisfreier und erlaubnispflichtiger Fahrzeuge führe durch die fehlende Unterscheidung auch zu vermeidbaren psychischen Belastungen des Fahrzeugführers im Rahmen der Begutachtung, die nicht zu vernachlässigen seien.
Regelung für erlaubnisfreie Fahrzeuge zu unbestimmt
Entscheidend für die Beurteilung der Klage ist nach der Bewertung des VGH jedoch, dass die Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV im Hinblick auf erlaubnisfreie Fahrzeuge zu lückenhaft ist und keine hinreichende Differenzierung zwischen erlaubnispflichtigen und erlaubnisfreien Fahrzeugen vorsieht. Die Vorschrift ermächtige die Fahrerlaubnisbehörde zu schweren Eingriffen in die durch die allgemeine Handlungsfreiheit geschützte Mobilität der Betroffenen. Da aus dem Gesetzgebungsverfahren und aus anderen Regelwerken - anders als bei erlaubnispflichtigen Fahrzeugen - keine konkreten Hinweise für die Handhabung bei erlaubnisfreien Fahrzeugen ersichtlich seien, könne dies zu unverhältnismäßigen Verboten führen.
Keine hinreichende Beachtung maßgeblichen Rechtsvorbringens
Mit diesen Erwägungen gelangte der VGH zu dem Ergebnis, dass § 3 Abs. 1 FeV keine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge darstellt. Die Regelung lasse nicht klar genug erkennen, unter welchen Voraussetzungen eine Person zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ungeeignet ist. Damit sei die Regelung mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar und daher unwirksam.
Berufung erfolgreich
Im Ergebnis hob der VGH die Entscheidung des Landratsamts auf und gab der Berufung des Klägers statt. Der Kläger darf also weiterhin erlaubnisfreie Fahrzeuge führen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
(BayVGH, Urteil v. 17.4.2023, 11 BV 22.1234)
Hintergrund:
Die generelle Untersagung des Führens von Fahrzeugen durch die Fahrerlaubnisbehörde ist zu unterscheiden von der Verhängung von Fahrverboten in Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Solche zeitlich befristeten Fahrverbote können auch für fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge verhängt werden.
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