VVG a.F. § 5a; BGB § 242
Leitsatz
Nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. setzt der Beginn der Widerspruchsfrist die Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F. voraus. Wird durch die Benennung nur des Erhalts des Versicherungsscheins der unzutreffende Eindruck erweckt, der Fristbeginn werde allein daran geknüpft, ist die Widerspruchsbelehrung fehlerhaft.
BGH, Urt. v. 21.2.2024 – IV ZR 297/22
1 Sachverhalt
Der Kl. begehrt die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Rentenversicherungsvertrages. Er beantragte am 16.9.2004 bei der Rechtsvorgängerin der Bekl. den Abschluss des Versicherungsvertrages nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung und erhielt hierzu mit Begleitschreiben vom 1.10.2004 den Versicherungsschein vom selben Tag. Die Bekl. übersandte dem Kl. den Versicherungsschein, die Verbraucherinformation und die AVB als Anlage eines einseitigen Policenbegleitschreibens nebst einer Seite mit "wichtigen Hinweisen", die formulierten:
"Wie Ihnen bereits aufgrund unseres Hinweises im Versicherungsantrag bekannt ist, können Sie innerhalb einer bestimmten Frist nach Erhalt des Versicherungsscheins dem Versicherungsvertrag uns gegenüber in Textform widersprechen. Bitte beachten Sie hierzu, dass … die Widerspruchsfrist von 14 auf 30 Tage verlängert wurde …"
Dem Anschreiben war außerdem eine dritte Seite beigefügt, welche die beigefügten Anlagen auflistete. Der Kl. zahlte die vereinbarten Beiträge. Zum 1.11.2016 nahm er die Teilkapitalabfindung in Anspruch und die Bekl. zahlte 5.969 EUR an ihn aus. Mit Schreiben vom 9.10.2020 erklärte er den Widerspruch gegen den Versicherungsvertrag.
Mit der Klage begehrt der Kl. Auszahlung des bei Erklärung des Widerspruchs aktuellen Fondsguthabens, die Rückzahlung der sogenannten Nicht-Sparanteile sowie eine Nutzungsentschädigung.
2 Aus den Gründen: "…"
[10] 1. Nach den revisionsrechtlich allerdings nicht zu beanstandenden Feststellungen des BG belehrte der VR den Kl. nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung in dem maßgeblichen Übersendungsschreiben ist fehlerhaft, weil sie die fristauslösenden Unterlagen nicht zutreffend benennt. Nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. setzt der Beginn der Widerspruchsfrist die Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation nach § 10a VAG in der seinerzeit geltenden Fassung voraus.
Hier wird durch die Benennung nur des Erhalts des Versicherungsscheins der unzutreffende Eindruck erweckt, der Fristbeginn werde nur daran geknüpft (vgl. Senat v. 27.4.2016 – IV ZR 200/14). Dem VN soll mit der Widerspruchsbelehrung jedoch klar und unmissverständlich vor Augen geführt werden, unter welchen Voraussetzungen er widersprechen kann (vgl. Senat VersR 2023, 631).
[11] Etwas anderes kann im Einzelfall ausnahmsweise nur dann anzunehmen sein, wenn die Widerspruchsbelehrung – anders als hier – etwa unter Einbeziehung des Gesamtinhalts des Policenbegleitschreibens dem VN noch ausreichend deutlich macht, welche Unterlagen ihm vorliegen müssen, damit die Widerspruchsfrist beginnt, wie der Senat dies im Urt. v. 17.1.2024 angenommen hat (IV ZR 19/23 …). Der entscheidende Unterschied in jenem Verfahren zu dem hier zu beurteilenden Fall liegt darin begründet, dass dort in dem Policenbegleitschreiben auf der ersten Seite ausdrücklich auf die Übersendung von Versicherungsschein, AVB und Verbraucherinformationen hingewiesen und der Beginn der Widerspruchsfrist in der Widerspruchsbelehrung an den "Zugang dieses Schreibens" geknüpft war. Im Streitfall wird für den Fristbeginn hingegen nur auf den Versicherungsschein abgestellt und die weiteren Unterlagen werden lediglich in einer Liste von insgesamt acht Anlagen auf der dritten Seite genannt, ohne dass klar würde, auf welche von diesen es für den Fristbeginn ankommt.
[12] 2. Entgegen der Ansicht des BG ist der geltend gemachte Rückforderungsanspruch nach dessen bisherigen Feststellungen nicht ausnahmsweise aufgrund des Vorliegens besonders gravierender Umstände nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts ausgeschlossen.
[13] a) Nach der Rspr des Senats kann zwar auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind. Dementsprechend hat der Senat bereits tatrichterliche Entscheidungen gebilligt, die in Ausnahmefällen mit Rücksicht auf besonders gravierende Umstände des Einzelfalles auch dem nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrten VN die Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs verwehrt haben (Senat VersR 2023, 1151 …). Allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte Belehrung der Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung des Widerspruchsrechts entgegensteht, können nicht aufgestellt ...