VVG § 81 Abs. 2
Weder das von einem Unbekannten interessiert beobachtete mehrtägige Abstellen eines Pkw in einem öffentlichen und überwachten Parkhaus in der Slowakei noch das Zurücklassen des Fahrzeugschlüssels in der abgedeckten Mittelkonsole sind grob fahrlässig.
LG Ingolstadt, Urt. v. 9.2.2010 – 43 O 1591/09
Aus den Gründen:
“… II. Die Klage ist im Zahlungsantrag begründet. Die Beklagte schuldet den begehrten Betrag aus dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag. Der Einwand des § 81 II VVG vermag nicht durchzugreifen, da dem Kläger keine grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich des Schadensereignisses zur Last fällt.
1. …
2. Eine solche Entwendung liegt vor. Da der Kläger auch in der Zeit, in der er sein Fahrzeug in der öffentlichen Garage abgestellt hatte zumindest sog. gelockerten Gewahrsam daran hatte, ist eine Entwendung in der Zwischenzeit als Diebstahl zu bewerten. Selbst unterstellt, ein Gewahrsamsbruch hätte nicht stattgefunden, läge zumindest ein – auch versicherter – Fall der Unterschlagung vor, da der Kläger das Fahrzeug dem entwendenden unbekannten Dritten nicht zum Gebrauch überlassen hatte. Die Einstandspflicht der Beklagten für den Schaden ist somit zunächst wirksam entstanden.
3. Dem steht auch die Vorschrift des § 81 VVG nicht entgegen.
a) Zunächst ist festzuhalten, dass § 81 II VVG grundsätzlich Anwendung findet. Unter dem Punkt A.2.8.1 AKB 2008 verzichtet die Beklagte gegenüber dem Kläger zwar auf den Einwand des § 81 VVG. Dieser Verzicht gilt jedoch nicht für Fälle der Entwendung des Fahrzeugs.
b) Die Voraussetzungen des § 81 VVG sind indes nicht gegeben. Eine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles i.S.d. § 81 Abs. 1 VVG liegt nicht vor. Auch eine grob fahrlässige Verursachung des Versicherungsfalles durch den Kläger ist nicht gegeben, § 81 Abs. 2 VVG. Dazu im Einzelnen:
aa) Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird, schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. Palandt, BGB, § 277 Rn 4).
bb) Allein mit der vom Kläger gewählten Art, das Fahrzeug abzustellen, lässt sich der Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht begründen. Dies kann nur dort der Fall sein, wo der gewählte Platz und die Art des Abstellens den Verdacht dringender Diebstahlsgefahr nahe legen (BGH r+s 1996, 168). Dieses ist vorliegend nicht der Fall. Dem Kläger kann nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe sich einen besonders unsicheren Platz für das Abstellen des Fahrzeuges ausgesucht. Ein verständiger Dritter in der Situation des Klägers hätte darauf vertrauen dürfen, in einer öffentlichen Parkgarage mit Überwachungskameras würde sein Fahrzeug nicht entwendet werden.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich in dem Parkhaus ein telefonierender Mann das Fahrzeug des Klägers angesehen hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar vorgetragen, warum ihm dieses Verhalten nicht verdächtig vorkam. Er führte dies darauf zurück, dass dieser Fahrzeugtyp in der Slowakei noch nicht auf dem Markt war und daher interessant erscheinen musste. Dies ist zunächst nachvollziehbar.
Darüber hinaus muss sich einem Fahrzeuginhaber nicht stets der Verdacht aufdrängen, sein Fahrzeug sei im Begriff, gestohlen zu werden, nur weil jemand einen Blick darauf oder sogar hinein wirft. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht um einen Durchschnittswagen, sondern um einen (kompakten) Sportwagen handelt. Neugierige Blicke – z.B. von Autoliebhabern – sind somit nicht nur hinzunehmen, sondern zu erwarten. Darüber hinaus wird Fahrzeugen mit ausländischen Kennzeichen in der Regel gesteigerte Beachtung geschenkt.
Daher musste sich – selbst unterstellt, der vorgenannte Mann war an dem Verlust des Diebstahls beteiligt, was sich nicht aufklären lässt – dessen Verhalten dem Kläger nicht als verdächtig oder alarmierend aufdrängen. Die Wahl des Abstellplatzes begründet daher nicht den Vorwurf der Fahrlässigkeit.
cc) Unstreitig hat der Kläger den zum Fahrzeug gehörenden Zweitschlüssel in der nicht einsehbaren Mittelkonsole des Fahrzeuges zurückgelassen.
(1) Allein das Zurücklassen des Zweitschlüssels im Fahrzeug kann objektiv den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründen (so z.B. OLG Köln r+s 1995, 42, wo der Zweitschlüssel im ebenfalls nicht einsehbaren Handschuhfach vergessen wurde). Für die Frage des Vorliegens objektiver grober Fahrlässigkeit ist es auch nicht erheblich, ob der Schlüssel im Auto sichtbar oder versteckt vergessen wird (vgl. z.B. LG Koblenz r+s 2007, 414, wo der Zweitschlüssel in einer Jackeninnentasche im Fahrzeug vergessen wurde). Nichts anders ergibt sich auch aus der Entscheidung BGH NJW 1981, 113 – hier wurde das Zurücklassen eines Zweitschlüssels im Handschuhfach ebenfalls als grob fahrlässig bewertet.
Die objektive Komponente der groben Fahrlässigkeit ist vorliegend gegeben.
(2) Zu der objektiven Komponente d...