ZPO § 114

1. Prozesskostenhilfe kann einer klagenden Partei nicht schon deshalb versagt werden, weil sie vorgerichtlich die Begutachtung durch einen von der beklagten Haftpflichtversicherung des Unfallgegners beauftragten medizinischen Sachverständigen abgelehnt hat.

2. Eine Klage trotz einer solchen Ablehnung ist nicht "mutwillig" i.S.d. § 114 ZPO.

(Leitsätze des Einsenders)

KG, Beschl. v. 30.11.2009 – 12 W 44/09

Der Geschädigte lehnte vorgerichtlich die Begutachtung durch einen von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners beauftragten medizinischen Sachverständigen ab. Das LG versagte dem Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und führte zur Begründung aus, dass darin Mutwilligkeit i.S.d. § 114 ZPO liege. Dem folgte der Senat nicht und verwies unter Aufhebung des Prozesskotenhilfe ablehnenden Beschlusses das Prozesskostenhilfeverfahren zur erneuten Entscheidung an das LG zurück.

Aus den Gründen:

“Prozesskostenhilfe kann einer klagenden Partei nicht schon deshalb versagt werden, weil sie vorgerichtlich die Begutachtung durch einen von der beklagten Haftpflichtversicherung des Unfallgegners beauftragten medizinischen Sachverständigen abgelehnt hat. Darin liegt kein Mutwille i.S.d. § 114 ZPO.

Die staatliche Prozesskostenhilfe beruht auf dem verfassungsrechtlich verankerten Gleichheits- und Sozialstaatsgebot. Der Zugang zu den Gerichten soll demjenigen, der die Verfahrenskosten nicht aus eigenen Geldmitteln aufbringen kann, ebenso offen stehen wie demjenigen, der die Verfahrenskosten selbst finanzieren kann (vgl. BGHZ 70, 235, 237 = VersR 1978, 425, 426 = NJW 1978, 938). Mutwilligkeit i.S.v. § 114 S. 1 ZPO ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn die Rechtsverfolgung oder die Rechtsverteidigung von dem abweicht, was eine verständige, ausreichend bemittelte Partei in einem gleich gelagerten Fall tun würde (vgl. OLG Frankfurt/M. FamRZ 1982, 1223; 1984, 809; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 48. Aufl., § 114 Anm. 2 B b m.w.N.).

Das OLG Düsseldorf (VersR 1989, 645) hat in einem Arzthaftungsfall entschieden, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine verständige ausreichend bemittelte Partei stets zunächst ein Verfahren bei der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler betreiben und erst danach die Entscheidung treffen würde, ob sie Klage erhebt oder nicht. Zur Begründung führt das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss aus, es sei zu bedenken, dass die Aufklärung und die Beurteilung des medizinischen Sachverhalts im Rahmen des angesprochenen Verfahrens keineswegs unmittelbare rechtliche Auswirkungen auf einen nachfolgenden Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten entfalte. Es sei zwar möglich, dass die Durchführung des Verfahrens bei einer Gutachterkommission im Einzelfall auf die Vermeidung eines Rechtsstreits hinauslaufen könne. Dennoch gehe es nicht an, einen ausreichend bemittelten Kläger allein deshalb als unvernünftig und unverständig zu bezeichnen, weil er trotz der angesprochenen Möglichkeit sogleich den Weg zu den Gerichten beschreitet.

Wenn schon die Durchführung eines Verfahrens bei der Gutachterkommission einer Ärztekammer nicht gleichsam zu einer Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Arzthaftungsprozess erhoben werden darf, indem die beabsichtigte Rechtsverfolgung als mutwillig gewertet wird, solange die klagende Partei ein Verfahren bei der Gutachterkommission nicht betrieben hat, dann kann vorliegend die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht von der Bereitschaft der Klägerin zu einer vorgerichtlichen Begutachtung durch einen von der beklagten Haftpflichtversicherung beauftragten medizinischen Sachverständigen abhängig gemacht werden.”

 
Anmerkung

Prozesskostenhilfe konnte wegen Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung schon deshalb nicht versagt werden, weil eine nicht hilfsbedürftige Partei nicht verpflichtet war, vor Einleitung des Klageverfahrens sich einer Begutachtung durch einen von der Haftpflichtversicherung des Schädigers und späteren Prozessgegners zu stellen. Die Grundlage der Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die aus dem rechtlich verankerten Gleichheits- und Sozialstaatsgebot folgt, wonach der Zugang zu den Gerichten demjenigen, der die Verfahrenskosten nicht aus eigenen Mitteln aufbringen kann, ebenso offen stehen soll, wie demjenigen, der die Verfahrenskosten selbst finanzieren kann (vgl. BGH NJW 1978, 938 = VersR 1978, 425, 426) spricht für diese Fragestellung. Dem Bedürftigen darf und muss Prozesskostenhilfe gewährt werden, wenn ein nicht Bedürftiger bei verständiger Würdigung einen solchen Rechtsstreit führen würde (vgl. auch OLG Frankfurt NJW-RR 1993, 327; OLG Celle NJW 1997, 532). Die Weigerung des Geschädigten bei der Einholung eines Privatgutachtens des Haftpflichtversicherers des Schädigers mitzuwirken, stellt keine vorwerfbare Vereitelung der Beweisführung dar, die im folgenden Hauptprozess dem Geschädigten entgegen gehalten werden könnte. Auch eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei könnte d...

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