Vom Schockschaden zum Hinterbliebenengeld ist gedanklich kein weiter Weg und so sind wir jetzt dort angekommen – aber für den Gesetzgeber war dieser Weg sehr weit, weil ein solcher Anspruch eigentlich mit dem System des deutschen Deliktsrechts unvereinbar ist, auch wenn immer wieder die Forderung nach einem "Schmerzensgeld für Angehörige" erhoben worden ist. Aus abgeleitetem Recht kam er nicht in Betracht, denn der Getötete kann für den Verlust seines Lebens keinen Ersatz verlangen, weil er mit dem Leben auch seine Rechtsfähigkeit verloren hat und das Leben ohnehin nicht zu den in § 253 Abs. 2 BGB aufgezählten Rechtsgütern gehört, für die es immateriellen Schadensersatz geben kann.
Aber solch systematische Bedenken müssen den Gesetzgeber nicht hindern und so hat er sich unter dem durch den EGMR sowie entsprechende Regelungen in europäischen Nachbarländern und vor allem durch die öffentliche Meinung geschaffenen Druck zur Einführung eines Anspruchs entschlossen und damit auch einer Empfehlung des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstags vom Januar 2012 entsprochen. Ich habe allerdings nie begriffen, weshalb die öffentliche Meinung immer nach Massenunfällen besonders laut wurde – als ob dann der Verlust für den einzelnen Hinterbliebenen tragischer wäre als der Tod eines Angehörigen bei einem sonstigen Unfall. Wie dem auch sei – nunmehr wird durch den neuen § 844 Abs. 3 BGB in einem Todesfall dem nahestehenden Hinterbliebenen eine angemessene Entschädigung in Geld für das ihm zugefügte seelische Leid zubilligt. Dieser besondere Zweck kommt m.E. in der etwas kümmerlichen Bezeichnung als "Hinterbliebenengeld" nicht so recht zum Ausdruck, zumal sie mehr in Richtung fortlaufender Sozialleistungen wie Wohngeld oder Kindergeld zu weisen scheint. Zudem lässt sie eher auf einen pauschalen oder Regelbetrag schließen als auf eine individuelle Entschädigung, wie sie offensichtlich vorgesehen ist.
Die Einfügung ins Deliktsrecht hat zur Folge, dass dieser Anspruch nicht bei vertraglicher Haftung besteht. Das wird im Schrifttum kritisiert, ist aber vom System her vorgegeben und insofern unvermeidlich. Eine ausdrückliche Voraussetzung des Anspruchs ist der Tod, so dass eine Erstreckung auf Schwerstschäden, wie sie vielfach verlangt worden ist, nicht in Betracht kommt. Auch das muss man wohl akzeptieren, weil die Einbeziehung solcher Sachverhalte nicht nur zu großen Abgrenzungsschwierigkeiten, sondern auch zu einer gewaltigen Ausuferung des Anspruchs führen würde.
Daneben setzt der Anspruch voraus, dass der Hinterbliebene infolge der Tötung seelisches Leid empfunden hat. Das soll nach der Begründung in aller Regel durch das besondere persönliche Näheverhältnis indiziert werden, das der Anspruch ebenfalls voraussetzt. Wenn die Begründung anschließend Ausnahmefälle nennt, in denen der Hinterbliebene keine innere Beziehung zum Getöteten gehabt habe oder dessen Tod nicht als Verlust empfinde oder aber sein seelisches Leid auf einem anderen Grund beruhe und für diese Fälle dem Antragsgegner die Möglichkeit eingeräumt wird, die Indizwirkung zu widerlegen, ist das wenig überzeugend und verdeutlicht einmal mehr, wie problematisch die Erfassung und rechtliche Bewertung rein seelischer Vorgänge ist.
Mit dem Begriff des Hinterbliebenen wird klargestellt, dass die Anspruchsberechtigung weniger von der Verwandtschaft als von der sozialen Bindung abhängen soll. Satz 2 schafft dann aber doch mit der Vermutung eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses eine gewisse Privilegierung für Angehörige. Weil diese Vermutung nach § 292 S. 1 ZPO vom Anspruchsgegner widerlegt werden kann, darf man gespannt sein, zu welcher Ermittlungstätigkeit diese Widerlegungsmöglichkeit in der Praxis führen wird, zumal es sie auch für das seelische Leid geben soll und ich mir nicht recht vorstellen kann, welche Mittel zu dessen Widerlegung eingesetzt werden könnten. Bemerkenswert ist, dass die in der Begründung für eine etwaige Anspruchsberechtigung gewählten Beispiele sämtlich familiären Einschlag haben und es sich dabei jedenfalls um Angehörige im weiteren Sinn handelt. Ob daneben auch andere Personen bzw. Konstellationen in Betracht kommen, wird die Rechtspraxis zeigen.
Diese beginnt sich nun allmählich herauszubilden, lässt aber, wie aus der Versicherungswirtschaft zu hören ist, noch eine große Unsicherheit bei der Bemessung der Entschädigung erkennen. Das ist begreiflich, weil es noch keine gerichtlichen Entscheidungen gibt, sondern nur in Hinweisbeschlüssen der Betrag von 10.000 EUR als Obergrenze genannt wird, der wohl auch dem Gesetzgeber vorgeschwebt hat. Dieser war jedenfalls bestrebt, die Erwartungen an den neuen Anspruch zu dämpfen. Mehrfach wird in der Begründung betont, dass nicht für den Verlust eines Menschen entschädigt werden kann und soll, sondern für das hierdurch ausgelöste seelische Leid.
Dass dieser Zweck der Entschädigung in den Wortlaut der Gesetzesvorschrift aufgenommen worden ist, dürfte auch auf der Erwägung beruh...