StVO § 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 7, BKat Nr. 132.3
Leitsatz
1. Bei dem Begriff der "abstrakten Gefahr" handelt es sich um einen Terminus der Rechtsetzung, nicht um einen solchen der Rechtsanwendung.
2. Versuche, den Anwendungsbereich der Nr. 132.3 BKat mit dem Erfordernis einer konkret bestimmbaren "abstrakten Gefährlichkeit" zu reduzieren, sind systematisch unzulässig, weil sie in die Kompetenz des Gesetzgebers, abstrakte Gefährdungsdelikte zu kodifizieren, eingreifen.
3. Es verbietet sich, allein unter dem Gesichtspunkt, ein Rotlichtverstoß sei nicht "abstrakt gefährlich", vom indizierten Fahrverbot abzusehen (Aufgabe bisheriger Rspr., KG, Beschl. v. 20.8.2007 – 3 Ws (B) 450/07 – 2 Ss 171/07, VRS 114, 60).
4. Von dieser Bewertung bleibt das Rechtsfolgeermessen des Tatrichters unberührt. Er ist befugt und veranlasst, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maße abweicht, dass das Fahrverbot unangemessen wäre
KG Berlin, Beschl. v. 14.4.2020 – 122 Ss 18/20
Sachverhalt
Das AG hat den Betr. wegen eines sog. qualifizierten Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 250 EUR verurteilt. Zugleicht hat es nach § 25 Abs. 1 StVG auf der Grundlage von Nr. 132.3 BKat ein Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt und dessen Wirksamkeitsbeginn nach § 25 Abs. 2a StVG bestimmt. Nach den Urteilsfeststellungen zeigte die Ampel bereits 1,1 Sekunden rotes Licht, als der Betr. über die Haltlinie und sodann in den Kreuzungsbereich einfuhr. Hiergegen richtet sich der Betr. mit dem Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung von Verfahrensrecht beanstandet und auch die allgemeine Sachrüge erhebt.
Das KG hat die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen und sodann die Rechtsbeschwerde des Betr. verworfen.
2 Aus den Gründen:
"A. Der Einzelrichter überträgt die Sache zur Fortbildung des Rechts auf den Senat, der in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet (§ 80a Abs. 3 S. 1 OWiG). Der Senat gibt seine Rspr., nach der es an der von Nr. 132.3 BKat vorausgesetzten “abstrakten Gefährlichkeit' fehlt, wenn im Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes die Kreuzung für den Querverkehr noch durch rotes Ampellicht gesperrt ist, auf. Er folgt insoweit der Rspr. des BayObLG.
B. Die zulässig erhobene Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
I. Ohne Erfolg bleibt zunächst die Verfahrensrüge, das AG habe den “Beweisantrag', ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die geräteseits abgezogene Toleranz “zu gering angesetzt' sei, verfahrensrechtswidrig abgelehnt. Das geeichte Messgerät ist durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt zugelassen worden. Zulassung und Eichung dienen gerade dazu, das Tatgericht von einer einzelfallbezogenen Überprüfung der technischen Funktionsweise der Messgeräte zu entlasten. Rechtsfehlerfrei hat es das AG abgelehnt, den unnötigen Beweis zu erheben.
II. Auch die Rüge, das AG habe einen weiteren Beweisantrag unzulässig abgelehnt, bleibt ohne Erfolg.
Der Verteidiger hat beantragt, ein Sachverständigengutachten auch zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass “der Querverkehr nicht gefährdet werden konnte, da bei Eintritt der für den Querverkehr geltenden Grünphasen der Betr. den geschützten Kreuzungsbereich längst verlassen hatte.' Die Beweiserhebung zielte erkennbar auf die Feststellung, dass die von Nr. 132.3 BKat vorausgesetzte abstrakte Gefahr, die Grundlage des Regelfahrverbots ist, hier nicht gegeben war.
Auch diesen Beweisantrag hat das AG rechtsfehlerfrei abgelehnt.
1. Allerdings hat der Senat in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Fallkonstellationen und mit verschiedenen Formulierungen entschieden, dass von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann oder sogar abzusehen ist, sofern der Rotlichtverstoß mit keiner abstrakten Gefahr oder “abstrakten Gefährdung' verbunden gewesen sei. So heißt es in einer Entscheidung vom 7.4.2010 – 3 Ws (B) 115/10 – (NZV 2010, 361 = VRS 119, 48):
“Die … Regelahndung ist aber nicht bei jedem Verstoß, der länger als eine Sekunde nach Beginn der Rotphase begangen wird, indiziert. Vielmehr soll Nr. 132.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV a.F. ebenso wie die Vorläuferreglung Nr. 34.2 eine schärfere Ahndung besonders schwerwiegender Rotlichtverstöße erlauben, da die – häufig im Zusammenhang mit überhöhter Geschwindigkeit begangene – Missachtung eines Wechsellichtzeichens bei länger als einer Sekunde andauernder Rotlichtphase nach der amtlichen Begründung (VkBl. 1991, 702, 704) als besonders gefährlich anzusehen ist, weil sich der Querverkehr und insbesondere auch Fußgänger nach dieser Zeit bereits in dem Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden können (…). Dieser Gesichtspunkt des Schutzes insbesondere des Querverkehrs kann jedoch dann nicht zum Tragen kommen, wenn es zu einer solchen abstrakten Gefährdung von vornherein nicht kommen kann, weil zum Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes...