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[1] I. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen eine Verurteilung im Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung sowie die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde. Die dem Ordnungswidrigkeitenvorwurf zugrundeliegende Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels eines standardisierten Messverfahrens mit dem Messgerät PoliScan Speed M1. Vor der Verurteilung hatte der Beschwerdeführer erfolglos Zugang zu außerhalb der Bußgeldakte befindlichen Informationen, hierunter die Messdaten, die Statistikdatei und die Case-List, begehrt, um eine eigenständige Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit des Messergebnisses vorzunehmen.
[2] II. 1. Der Beschwerdeführer macht mit seiner Verfassungsbeschwerde insb. eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) geltend. Er rügt unter anderem, dass ihm infolge der Entscheidungen der Fachgerichte die Möglichkeit einer eigenständigen Überprüfung des Messergebnisses und damit die Formulierung von konkreten Einwendungen gegen das standardisierte Messverfahren unzulässig erschwert worden seien. Dies stelle sich insb. angesichts des Gebots der Waffengleichheit als verfassungswidrig dar.
[3] 2. Dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz und dem Generalbundesanwalt ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.
[4] III. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, da dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 S. 1 BVerfGG).
[5] Das Urteil des AG und die Entscheidung des BayObLG über die Rechtsbeschwerde verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Die Fachgerichte haben verkannt, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Beschwerdeführer grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgen kann. Die generelle Versagung des Begehrens des Beschwerdeführers auf lnformationszugang, welches dieser im fachgerichtlichen Verfahren hinreichend geltend gemacht hat, wird deshalb der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Gewährleistung nicht gerecht. Entgegen der Annahme der Fachgerichte handelt es sich hierbei auch nicht um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht, sondern der Verteidigungsmöglichkeiten des Betr. (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18, Rn 47 ff.; Beschl. v. 28.4.2021 – 2 BvR 1451/18, Rn 5). Auf dieser Fehlannahme beruht die Entscheidung des BayObLG. Es ist auch nicht auszuschließen, dass bereits die Verurteilung des Beschwerdeführers auf dem Verstoß des AG Rosenheim gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens beruht.
[6] IV. 1. Hiernach ist festzustellen, dass das Urteil des AG Rosenheim v. 25.11.2019 – 9 OWi 460 Js 27680/19 – und der Beschluss des BayObLG v. 20.4.2020 – 202 ObOWi 488/20 – den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzen.
[7] 2. Beide Entscheidungen waren aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das AG Rosenheim zurückzuverweisen.
[8] 3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
[9] Diese Entscheidung ist unanfechtbar.“
Mitgeteilt von RA Alexander Gratz, Bous
zfs 6/2021, S. 348 - 349