ZPO § 287
Leitsatz
Zur Schätzung der Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs im Zusammenhang mit der Berechnung der gezogenen Nutzungsvorteile.
BGH, Urt. v. 27.4.2021 – VI ZR 812/20
Sachverhalt
Die Kl. nimmt die Bekl. als Herstellerin des in ihrem Fahrzeug eingebauten Dieselmotors auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
Die Kl. erwarb am 13.4.2011 von einem Autohaus einen neuen Skoda Yeti Greenline 1.6 TDI zum Kaufpreis von 23.000 EUR. Das Fahrzeug war mit einem von der Bekl. hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 EU 5 ausgestattet. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Prüfzyklus durchlief oder sich im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.
Nachdem das Kraftfahrtbundesamt diese Abgassteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft hatte, rief die Beklagte Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA189 zurück, um eine geänderte Software aufzuspielen. Das Fahrzeug der Kl. wurde nicht nachgerüstet.
Die Kl. hat auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen gegen Rückgabe des Fahrzeugs angetragen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kl. hat das OLG Köln der Klage stattgegeben, den anrechenbaren Nutzungsvorteil aber unter Zugrundelegung einer Gesamtfahrleistung von 250.000 km errechnet.
Mit der vom BG zugelassenen Revision hat die Kl. die Berechnung des Nutzungsvorteils angegriffen. Dieser habe unter Zugrundelegung einer Gesamtfahrleistung von 300.000 km errechnet werden müssen. Auf den zu erstattenden Kaufpreis sei daher nur ein geringerer Betrag anrechenbar.
Der BGH hat das Rechtsmittel zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
"… I. 1. Das BG hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:"
2. Der Kl. stehe ein Schadensersatzanspruch gegen die Bekl. aus §§ 826, 31 BGB zu. Die Bekl. habe die Kl. durch das Inverkehrbringen des im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors, der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet gewesen sei, vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Auf den zu erstattenden Kaufpreis müsse sich die Kl. allerdings im Wege der Vorteilsausgleichung eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen. Angesichts einer für das streitgegenständliche Fahrzeug zu schätzenden durchschnittlichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km und der mit dem Fahrzeug gefahrenen Strecke von 163.440 km ergebe sich eine vom Kaufpreis abzuziehende Nutzungsentschädigung von 15.036,48 EUR. Es verbleibe daher eine Restforderung von 7.963,52 EUR.
II. Die Revision der Kl., die sich allein gegen die tatrichterliche Schätzung der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 250.000 km statt – so die Kl. – 300.000 km richtet, ist unbegründet.
1. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Es ist insb. nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, dem Tatrichter eine bestimmte Berechnungsmethode vorzuschreiben (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn 79 m.w.N.).
2. Rechtlich erhebliche Fehler der tatrichterlichen Schätzung zeigt die Revision nicht auf.
a) Bei der gem. § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile ist das BG von folgender Berechnungsformel ausgegangen:
Nutzungsvorteil = |
Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb) |
|
erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt |
Diese Berechnungsmethode ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Senatsurt. v. 30.7.2020 – VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn 12).
b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Schätzung der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 250.000 km durch das BG nicht deshalb zu beanstanden, weil es an Anhaltspunkten für die Annahme einer solchen Gesamtlaufleistung durch das BG fehle und das BG sich nicht mit Vortrag der Kl. zur Gesamtlaufleistung befasst habe.
aa) Umstände, die für die Prognose der Gesamtlaufleistung in erster Linie maßgeblich sind, nämlich Fahrzeugtyp und Baujahr, hat das BG in seinem Urteil festgestellt. Auf dieser Grundlage hat es in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 250.000 km geschätzt. Mit dieser Schätzung bewegt sich das BG innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der Gesamtlaufleistung und zwar nicht am unteren Rand (vgl. hierzu Reinking/Eggert, D...