StVO § 3 Abs. 3 § 41 Abs. 2; StPO 267 Abs. 1
Leitsatz
1. Ein "Augenblicksversagen" kann nur in besonders gearteten Ausnahmefällen in Rechnung gestellt werden.
2. Ohne solche Umstände müssen sich die Urteilsgründe nicht damit befassen.
3. Es ist anzuzweifeln, dass sich ein Kraftfahrer im Hinblick auf ein angeblich übersehenes Zeichen 274 auf "Augenblicksversagen" berufen kann, wenn er sogar die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) überschreitet.
KG, Beschl. v. 27.2.2023 – 3 ORbs 22/23-162 Ss 9/23
1 Sachverhalt
Das KG hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des AG verworfen.
2 Aus den Gründen:
Erläuternd bemerkt der Senat:
1. Die dem Wortlaut der Rechtsbeschwerde ausschließlich erhobene Sachrüge hat keinen Erfolg. Die insoweit allein maßgeblichen Urteilsgründe geben keinen Anlass, ein so genanntes Augenblicksversagen, von dem ohnehin nur in besonders gearteten Ausnahmefällen ausgegangen werden kann, in Rechnung zu stellen. Der Hinweis, die Messstelle befinde sich im Bereich einer Schule, spricht jedenfalls eher gegen als für ein solches Augenblicksversagen.
2. Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, eine vom Verteidiger vorprozessual abgegebene "Einlassung" hätte dem Tatgericht Anlass geben müssen, sich vertieft mit der Möglichkeit eines Augenblicksversagens auseinanderzusetzen, geht fehl. Der Senat geht bei dem unterbreiteten Sachstand davon aus, dass die Erklärung gar nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. Nach den Urteilsfeststellungen hat sich der Betroffene (über das Geständnis der Fahrereigenschaft hinaus) nicht eingelassen. Dass der Verteidiger die zuvor schriftsätzlich eingereichte Erklärung in der Hauptverhandlung als eigene wiederholt hätte, was bei einer "Einlassung" ohnedies an die Grenzen des Logischen stieße, ergibt sich nicht aus dem Urteil und wird durch die Rechtsbeschwerde nicht behauptet. Weder aus dem Urteil noch aus der Rechtsbeschwerde ergibt sich im Übrigen, dass der Betroffene abwesend und der Verteidiger zur Vertretung bevollmächtigt war, so dass letzterer überhaupt eine Einlassung wirksam abgeben konnte. All dies wäre in einer den Voraussetzungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge darzulegen gewesen.
3. Ohnedies muss als zumindest zweifelhaft gelten, dass sich ein Kraftfahrer auf Augenblicksversagen berufen kann, der nicht einmal die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) einhält, sondern, wie hier, um 12 km/h überschreitet (vgl. KG, Beschl. v. 6.9.2017 – 3 Ws (B) 204/17 – [unveröffentlicht]).
4. Die Stellungnahme des Verteidigers vom 23.2.2023 lag vor, gab aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Mitgeteilt von: RiKG Urban Sandherr
3 Anmerkung:
Die Entscheidung steht hinsichtlich der Bewertung verkehrswidrigen Vorverhaltens in Übereinstimmung mit anderen Gerichten. Denn ein Fehlverhalten des Betroffenen, das der Fehlreaktion bereits vorgelagert war, die mit einem Augenblicksversagen entschuldigt werden soll, kann schon nicht zur Begründung dieses Augenblicksversagens herangezogen werden (OLG Bamberg SVR 2016, 230). Wird vor einem behaupteten Augenblicksversagen bspw. die zulässige Höchstgeschwindigkeit anlässlich eines innerörtlichen Überholvorgangs, selbst bei "vollkommen freier Fahrbahn", überschritten, führt dies nahezu zwingend zur Annahme einer auch subjektiv groben Pflichtverletzung, welche die Annahme eines Augenblicksversagens ausschließt (OLG Bamberg NZV 2018, 337). Macht der Betroffene geltend, eine ihm unbekannte innerörtliche Geschwindigkeitsbeschränkung, z.B. auf 30 km/h nicht wahrgenommen zu haben, weil die entsprechenden Verkehrszeichen durch einen Lkw bzw. den Gegenverkehr verdeckt worden seien, kommt die Berufung auf ein Augenblicksversagen nur ausnahmsweise in Betracht. Wenn der Betroffene aber zugleich die nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht unerheblich überschritten hat (OLG Bamberg BeckRS 2012, 26010), ist die Annahme eines Augenblicksversagens nicht möglich. In der zivilrechtlichen Rechtsprechung genügen für die Mithaftung wegen einer nicht unerheblichen Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit schon geringe Werte (ab 5 km/h: OLG Köln, VersR 1992, 110; 10 km/h: VersR 1999, 1034; 15 km/h: OLG Hamm, NZV 1994, 277), sodass auch die hier im Raum stehenden 12 km/h als erhebliche Überschreitung gewertet werden dürfen.
RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl
zfs 6/2023, S. 351 - 352