ZPO § 287; AKB 2015 A 2.5.1, 2.5.6
Leitsatz
Bedingungen, nach denen als Höchstentschädigung ein bestimmter, gutachtlich angenommener Wert zugrunde gelegt wird, verschließen es dem VR nicht, etwaige im Gutachten fehlerhaft nicht berücksichtigte Umstände wie Reparaturspuren oder Unfallschäden vorzutragen und unter Beweis zu stellen. (Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 8.2.2023 – IV ZR 9/22
1 Sachverhalt
Die Bekl. wendet sich gegen ihre Verurteilung zu Leistungen aus einer Kfz-Versicherung.
Der Kl. war Halter eines M-B CLK 320. Ein Fahrzeugbewertungsgutachten eines Kfz-Sachverständigen ermittelte für das Fahrzeug eine Zustandsnote 2+ und auf der Grundlage einer Marktbeobachtung einen Marktwert von 13.000 EUR sowie einen Wiederbeschaffungswert von 15.600 EUR. In einem Nachtrag zum Gutachten erläuterte der Gutachter, dass sich die Bewertung auf ein Serienfahrzeug ohne Tuningzubehör beziehe, am Fahrzeug des Kl. aber zahlreiche Veränderungen vorgenommen worden seien, so dass sich für das Fahrzeug ein Wiederherstellungswert von 27.000 EUR inklusive Mehrwertsteuer ergebe.
Für das Fahrzeug unterhielt der Kl. bei der Bekl. eine Kaskoversicherung auf der Grundlage AKB 2015. Zur Entschädigungspflicht des VR bestimmen die Bedingungen:
…
A.2.5.6 Bis zur welcher Höhe leisten wir (Höchstentschädigung)?
Unsere Höchstentschädigung ist beschränkt auf den Neupreis des Fahrzeugs nach A.2.5.1.9 (sofern das Fahrzeug als Neufahrzeug erworben wurde) bzw. den Kaufpreis des Fahrzeugs nach A.2.5.1.10 (sofern das Fahrzeug als Gebrauchtfahrzeug erworben wurde). Maximal zahlen wir jedoch die in A.2.1.2 genannte Höchstentschädigungssumme, sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist."
In einem von der Bekl. ausgestellten Nachtrag zum Versicherungsschein heißt es:
"Höchstentschädigungsgrenzen (A.2.1.2 – AKB)
Die Höchstentschädigungsgrenzen betragen für
…
– Pkw 100.000,– EUR
…
Als max. Entschädigung gilt der Wert laut Gutachten vom 10.07.17 in Höhe von 27000,– EUR, falls kein geringerer Wert festgestellt wird.“
Im März 2018 wurde der M-B vollständig ausgebrannt und zerstört an einer Landstraße aufgefunden. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Kl. auf einer Urlaubsreise im Ausland. Gegenüber seinem auf Entschädigung in Höhe von 26.438,20 EUR gerichteten Begehren hat die Bekl. eine Eigenbrandstiftung eingewandt und behauptet, der Kl. versuche über den Fahrzeugwert zu täuschen. Das Fahrzeug habe sich in einem desolaten und nicht ordnungsgemäß nutzbaren Zustand befunden, wobei die gesamte Baureihe mit erheblichen Mängeln behaftet sei und entsprechende Fahrzeuge nur zu Dumping-Preisen angeboten würden. Das klägerische Fahrzeug habe zudem beim vorherigen Halter einen Unfallschaden mit einem Schadenumfang von etwa 3.500 EUR erlitten.
Das LG hat der auf Zahlung der Entschädigung gerichteten Klage stattgegeben. Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung ist i.W. aufgeführt, einfaches Bestreiten der in Gutachten festgestellten Werte reiche nicht aus.
2 Aus den Gründen
[9] 2. Das verletzt die Bekl. in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör.
[10] a) Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG gebietet in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (Senatsbeschl. v. 28.10.2015 – IV ZR 139/15, juris Rn 10; BGH, NJW-RR 2022, 703 Rn 13 f.). Das gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat (…).
[11] b) Das BG hat, indem es die Bekl. ohne weitere Sachaufklärung auf der Grundlage des im Gutachten vom Juli 2017 ermittelten Wiederherstellungswerts zur Entschädigung verpflichtet hat, gehörswidrig den angebotenen Sachverständigenbeweis zum Fahrzeugwert nicht erhoben, weil es an den Beklagtenvortrag zu den wertbildenden Umständen überhöhte Anforderungen gestellt hat.
[12] aa) Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hat sich eine Partei über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Der Umfang der erforderlichen Substantiierung richtet sich dabei nach dem Vortrag der darlegungsbelasteten Partei. Je detaillierter dieser ist, desto höher ist die Erklärungslast des Gegners gemäß § 138 Abs. 2 ZPO (Senat VersR 2016, 133 Rn 17; BGH VersR 2015, 1515 Rn 11). Gemessen daran hätte das BG das Vorbringen der Bekl. zum Zustand des Fahrzeugs nicht als unzureichend ansehen dürfen.
[13] Das Gutachten vom Juli 2017, auf das das BG seine Feststellungen zur Entschädigungshöhe stützt, hat den Fahrzeugzustand mit 2+ bewertet, wobei nach dem zugrundeliegenden System der Zustandsnoten ein mit der Note 2 bewertetes Fahrzeug einem sehr guten, mängelfreien Fahrzeug im original erhaltenen oder aufwändig restaurierten Zustand ohne Fehlteile und mit allenfalls leich...