StPO § 147
Leitsatz
1. Den Daten "der gesamten Messreihe" kommt – jedenfalls nach derzeitigem Kenntnisstand – eine potentielle Relevanz für die Verteidigung des Betroffenen gegen den ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoß nicht zu. Die potentielle Beweisbedeutung von Informationen und Daten stellt eine Tatsachenfrage dar.
2. Begehrte der Betroffene keine bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen, sondern von dem zuständigen Eichamt erst noch zu erzeugende Daten (Token und Passwort für die einzelne Datei), besteht kein Anspruch darauf, dass sich die Bußgeldbehörde oder das Gericht diese Daten beschafft, um sie an den Betroffenen herauszugeben. Dem Betroffenen ist es unbenommen, selbst Ermittlungen anzustellen und sich die aus seiner Sicht erforderlichen Informationen zu besorgen. (Leitsatz der Redaktion)
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 1.3.2023 – 1 OWi 2 SsBs 49/22
1 Sachverhalt
Auf den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Bußgeldbehörde hat das AG ihn wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 43 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 400 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Das OLG Zweibrücken hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
[…]
Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
1. Soweit der Verurteilte einen Verstoß gegen das faire Verfahren und eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung rügt, weil ihm weder Token noch Passwort für die gesamte Messreihe zur Verfügung gestellt wurden, erweist sich dieser Einwand als unbegründet. Denn der Betroffene hat bereits keinen Anspruch auf Einsicht in die gesamte Messreihe. Die Verweigerung der Herausgabe nicht bei den Akten befindlicher Unterlagen und Daten berührt den Grundsatz eines fairen Verfahrens nur dann, wenn deren Relevanz für die Verteidigung des Betroffenen nicht oder jedenfalls nicht sicher abzusprechen ist (s. VfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 27.10.2022 – VGH B 57/21; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 27.10.2020 – 1 Owi 2 SsBs 103/20; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 2.6.2022 – 1 Owi 2 SsRs 19/21). Den Daten "der gesamten Messreihe"“ kommt – jedenfalls nach derzeitigem Kenntnisstand – eine potentielle Relevanz für die Verteidigung des Betroffenen gegen den ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoß nicht zu (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 5.5.2020 – 1 OWi 2 SsBs 94/19, zfs 2020, 413, 415; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 2.6.2022 – 1 OWi 2 SsRs 19/21; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 26.7.2022 – 1 Owi 2 SsBs 84/21; BayObLG, Beschl. v. 4.1.2021 – 202 ObOWi 1532/20). Die potentielle Beweisbedeutung von Informationen und Daten stellt eine Tatsachenfrage dar (BGH, Beschl. v. 30.3.2022 – 4 StR 181/21). Die PTB hat in ihrer öffentlich zugänglichen Stellungnahme vom 30.3.2020 plausibel und nicht auf ein bestimmtes Messgerät beschränkt erläutert, weshalb aus der Betrachtung der "gesamten Messreihe" kein relevanter Erkenntnisgewinn zu erwarten ist (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 5.5.2020 – 1 OWi 2 SsBs 94/19; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 2.6.2022 – 1 OWi 2 SsRs 19/21). Der Betroffene selbst trägt keine konkreten Einzelaspekte vor, die eine Relevanz der Falldatensätze der gesamten Messreihe für die Beurteilung der verfahrensgegenständlichen Messung nicht als zumindest möglich erscheinen lassen.
2. Auch mit der Rüge, den für die konkrete Einzelmessung erforderlichen Token und das Passwort nicht erhalten zu haben, kann der Betroffene nicht durchdringen. Aus dem Recht auf ein faires Verfahren kann grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang des Betroffenen zu nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgen (s. BVerfG, Beschl. v. 28.4.2021 – 2 BvR 1451/18; BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18). Diese Informationen müssen (zum Zweck der Ermittlung) entstanden und weiterhin vorhanden sein, damit sie dem Betroffenen zur Verfügung gestellt werden können (s. VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.7.2022 – VGH B 30/21; vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.1.1983 – 2 BvR 864/81). Nach dem Rechtsbeschwerdevorbringen begehrte der Betroffene vorliegend aber gerade keine bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen, sondern um einen von dem zuständigen Eichamt erst noch zu erzeugende Daten (Token und Passwort für die einzelne Datei). Es bestand somit auch kein Anspruch darauf, dass sich die Bußgeldbehörde oder das Gericht diese Daten beschafft, um sie an den Betroffenen herauszugeben. Dem Betroffenen war es unbenommen, selbst Ermittlungen anzustellen und sich die aus seiner Sicht erforderlichen Informationen zu besorgen. Hierzu hat die Bußgeldbehörde seinem Verteidiger mehrfach genau erklärt, wohin er sich wenden müsse, um die begehrten Informationen zu erhalten. Dass und aus welchem Grund er gehindert gewesen wäre, diese einzuholen, trägt der Betroffene nicht vor.
Mitgeteilt von RA Stefan Keilhauer, Kaiserslautern
zfs 6/2023, S. 353 - 354