StVG § 7 § 8 Nr. 2, 9, 11 S. 2; KfzPflVV § 4; BGB § 254
Leitsatz
1. Ein Fahrzeug, das ohne jede Fortbewegungs- und Transportfunktion nur wie ein Baum oder ein Fels als Anker für Winde und Seil im Rahmen eines Bergevorgangs dient, ist nicht in Betrieb im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG (in Fortschreibung zum Einsatz als Arbeitsmaschine BGH, Urt. v. 21.9.2021 – VI ZR 726/20, r+s 2021, 710 Rn 7 ff. m.w.N.; OLG Hamm, Beschl. v. 18.5.2021 – 9 W 14/21, NJW-RR 2021, 814 = juris Rn 9 f.).
2. Das sich mittels seiner Winde und seiner Motorkraft freiziehende Fahrzeug ist hingegen in Betrieb im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG, so dass ein Helfer, der die Winde kabelgebunden fernsteuert, beim Betrieb dieses Fahrzeugs, nicht aber des Anker-Fahrzeugs, im Sinne des § 8 Nr. 2 StVG tätig ist.
3. Das zuvor im Rahmen eines Bergevorgangs nicht in Betrieb befindliche Anker-Fahrzeug kommt im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG in Betrieb, wenn es seine Fahrt mittels eigner Motorkraft fortsetzt.
4. Ein Unfall in einem Offroad-Park erfolgt nicht außerhalb jeglichen öffentlichen Verkehrsraums (in Anwendung von BGH, Urt. v. 11.2.2020 – VI ZR 286/19, zfs 2020, 614 Rn 19 f.) und wird auch nicht von § 4 Nr. 4 KfzPflVV/A.1.5.2 AKB 2015 erfasst oder könnte auch sonst nicht nach § 4 KfzPflVV von der Pflichthaftpflichtversicherung ausgenommen werden.
5. Der beim Anfahren verletzte Helfer wird durch seine Tätigkeit weder zum Halter im Sinne des § 17 Abs. 2, § 7 Abs. 1 StVG noch zum Führer eines Kraftfahrzeugs im Sinne des § 17 Abs. 2, § 18 Abs. 1, Abs. 3 StVG (in Fortschreibung zu BGH, Beschl. v. 23.9.2014 – 4 StR 92/14, BGHSt 59, 311 Rn 11 m.w.N.; BGH, Urt. v. 12.1.2021 – VI ZR 662/20, r+s 2021, 168 Rn 7).
6. Ein Mitverschulden des Helfers im Sinne des § 9 StVG in Verbindung mit § 254 Abs. 1 BGB scheidet aus, wenn er das Anfahren nicht erkennen konnte.
7. Ein umfassender Haftungsausschluss eines Offroad-Park-Betreibers, der sich auch auf das Verhältnis unter den Besuchern erstreckt, ist nach § 309 Nr. 7, § 276 Abs. 3, § 306 Abs. 1, Abs. 2 BGB unwirksam (in Fortschreibung zu BGH, Urt. v. 1.4.2003 – VI ZR 321/02, BGHZ 154, 316 = juris Rn 9; BGH, Urt. v. 23.9.2010 – III ZR 246/09, BGHZ 187, 86 Rn 26; BGH, Urt. v. 24.9.1985 – VI ZR 4/84, BGHZ 96, 18 = juris Rn 24).
8. Zur Höhe des Schmerzensgeldes bei Tibiakopffraktur.
OLG Hamm, Urt. v. 7.3.2023 – 7 U 130/22
1 Aus den Gründen:
I. Die Berufung des Klägers ist überwiegend begründet.
Dem Kläger steht ein Anspruch gegen den Beklagten zu 1 aus § 7 Abs. 1, § 11 Satz 2 StVG und § 249 Abs. 1 BGB in ausgeurteilter Höhe zu.
1. Es ist unstreitig ein Verletzungserfolg am Knie/Schienbein (Tibiakopffraktur) als körperliche Primärverletzung (in Abgrenzung zur Sekundärverletzung, dazu BGH, Urt. v. 26.7.2022 – VI ZR 58/21, r+s 2022, 588 Ls. und Rn 17) eingetreten.
2. Bei dem Pkw des Beklagten zu 1 handelt es sich unstreitig um ein Kraftfahrzeug im Sinne von § 1 Abs. 2, Abs. 3 StVG.
3. Der Verletzungserfolg ist beim Betrieb des Pkw des Beklagten zu 1 eingetreten.
a) Dabei geht der Senat aufgrund der im Kern übereinstimmenden Angaben der Parteien sowie des Streithelfers, insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, von folgendem Sachverhalt aus (§ 286 ZPO):
Nachdem sich das Fahrzeug eines Bekannten in einem Offroad-Park in einer Senke festgefahren hatte, verband der Kläger dieses Fahrzeug über das stählerne Seil einer Bergewinde, die fest mit dem zu befreienden Fahrzeug verbunden war, mit der Anhängerkupplung des Fahrzeugs des Beklagten zu 1. Das Fahrzeug des Beklagten zu 1 stand sodann während der nachfolgenden Bergeversuche eingebremst mit ausgeschaltetem Motor, während das zu befreiende Fahrzeug sich mit eigener Antriebskraft fort- und zugleich über die Winde aus der Senke herauszuziehen versuchte. Die Winde steuerte der Kläger über ein kabelgebundenes Bedienelement. Als das Fahrzeug sich beim zweiten Bergeversuch befreit hatte und abgestellt war, wickelte der Kläger das stählerne Seil der Winde, das sich während der Bergung schief aufgezogen hatte, zunächst erneut ab, um es sodann wieder gerade aufzuwickeln. Weder der Kläger noch eine andere Person lösten das Seil jedoch vom Fahrzeug des Beklagten zu 1. Nach etwa zwei Minuten ließ der Beklagte zu 1 unter im Einzelnen streitigen Umständen den Motor seines Fahrzeugs an und fuhr los, um die Geländetour fortsetzen zu können. Dabei spannte sich das noch an der Anhängerkupplung befestigte Seil und schlug gegen das Knie/Schienbein des Klägers.
aa) Der bloßen Mutmaßung des Klägers, das Fahrzeug des Beklagten zu 1 habe während der Bergevorgänge nicht bloß als Anker gedient, sondern habe unter Einsatz der Motorleistung zugleich unterstützend (mit)gezogen, vermochte der Senat nicht zu folgen. Konkrete Anhaltspunkte für diese Mutmaßung hat der Kläger nicht genannt. Eine eigene Wahrnehmung hat er dazu nicht geschildert. Jedenfalls aber hat der Senat aufgrund einer Inaugenscheinnahme eines Videos vom ersten Bergevorgang sowie der Angaben des Beklagten zu 1 zum zweiten Bergevorgang keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Fah...