Leitsatz (amtlich)
1. Ein Fahrzeug, das ohne jede Fortbewegungs- und Transportfunktion nur wie ein Baum oder ein Fels als Anker für Winde und Seil im Rahmen eines Bergevorgangs dient, ist nicht in Betrieb im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG (in Fortschreibung zum Einsatz als Arbeitsmaschine BGH Urt. v. 21.9.2021 - VI ZR 726/20, r+s 2021, 710 Rn. 7 ff. m.w.N.; OLG Hamm Beschl. v. 18.5.2021 - 9 W 14/21, NJW-RR 2021, 814 = juris Rn. 9 f.).
2. Das sich mittels seiner Winde und seiner Motorkraft freiziehende Fahrzeug ist hingegen in Betrieb im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG, so dass ein Helfer, der die Winde kabelgebunden fernsteuert, beim Betrieb dieses Fahrzeugs, nicht aber des Anker-Fahrzeugs, im Sinne des § 8 Nr. 2 StVG tätig ist.
3. Das zuvor im Rahmen eines Bergevorgangs nicht in Betrieb befindliche Anker-Fahrzeug kommt im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG in Betrieb, wenn es seine Fahrt mittels eigner Motorkraft fortsetzt.
4. Ein Unfall in einem Offroad-Park erfolgt nicht außerhalb jeglichen öffentlichen Verkehrsraums (in Anwendung von BGH Urt. v. 11.2.2020 - VI ZR 286/19, zfs 2020, 614 Rn. 19 f.) und wird auch nicht von § 4 Nr. 4 KfzPflVV / A.1.5.2 AKB 2015 erfasst oder könnte auch sonst nicht nach § 4 KfzPflVV von der Pflichthaftpflichtversicherung ausgenommen werden.
5. Der beim Anfahren verletzte Helfer wird durch seine Tätigkeit weder zum Halter im Sinne des § 17 Abs. 2, § 7 Abs. 1 StVG noch zum Führer eines Kraftfahrzeugs im Sinne des § 17 Abs. 2, § 18 Abs. 1, Abs. 3 StVG (in Fortschreibung zu BGH Beschl. v. 23.9.2014 - 4 StR 92/14, BGHSt 59, 311 Rn. 11 m.w.N.; BGH Urt. v. 12.1.2021 - VI ZR 662/20, r+s 2021, 168 Rn. 7).
6. Ein Mitverschulden des Helfers im Sinne des § 9 StVG in Verbindung mit § 254 Abs. 1 BGB scheidet aus, wenn er das Anfahren nicht erkennen konnte.
7. Ein umfassender Haftungsausschluss eines Offroad-Park-Betreibers, der sich auch auf das Verhältnis unter den Besuchern erstreckt, ist nach § 309 Nr. 7, § 276 Abs. 3, § 306 Abs. 1, Abs. 2 BGB unwirksam (in Fortschreibung zu BGH Urt. v. 1.4.2003 - VI ZR 321/02, BGHZ 154, 316 = juris Rn. 9; BGH Urt. v. 23.9.2010 - III ZR 246/09, BGHZ 187, 86 Rn. 26; BGH Urt. v. 24.9.1985 - VI ZR 4/84, BGHZ 96, 18 = juris Rn. 24).
8. Zur Höhe des Schmerzensgeldes bei Tibiakopffraktur.
Normenkette
BGB § 254; KfzPflVV § 4; StVG §§ 7, 8 Nr. 2, §§ 9, 11 S. 2
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 8 O 383/21) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 13.10.2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld, Az. 8 O 383/21, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte zu 1 wird verurteilt, an den Kläger 7.281,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.09.2020 sowie weitere 729,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.02.2022 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz tragen der Kläger zu 30 % und der Beklagte zu 1 zu 70 %. Die Kosten der Nebenintervention tragen der Kläger zu 30 % und der Streithelfer zu 70 %.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers in erster Instanz und die Gerichtskosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger zu 65 % und der Beklagte zu 1 zu 35 %. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1 tragen der Kläger zu 30 % und der Beklagte zu 1 zu 70 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 trägt der Kläger.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(abgekürzt gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO)
I. Die Berufung des Klägers ist überwiegend begründet.
Dem Kläger steht ein Anspruch gegen den Beklagten zu 1 aus § 7 Abs. 1, § 11 Satz 2 StVG und § 249 Abs. 1 BGB in ausgeurteilter Höhe zu.
1. Es ist unstreitig ein Verletzungserfolg am Knie/Schienbein (Tibiakopffraktur) als körperliche Primärverletzung (in Abgrenzung zur Sekundärverletzung, dazu BGH Urt. v. 26.7.2022 - VI ZR 58/21, r+s 2022, 588 Ls. und Rn. 17) eingetreten.
2. Bei dem Pkw des Beklagten zu 1 handelt es sich unstreitig um ein Kraftfahrzeug im Sinne von § 1 Abs. 2, Abs. 3 StVG.
3. Der Verletzungserfolg ist beim Betrieb des Pkw des Beklagten zu 1 eingetreten.
a) Dabei geht der Senat aufgrund der im Kern übereinstimmenden Angaben der Parteien sowie des Streithelfers, insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, von folgendem Sachverhalt aus (§ 286 ZPO):
Nachdem sich das Fahrzeug eines Bekannten in einem Offroad-Park in einer Senke festgefahren hatte, verband der Kläger dieses Fahrzeug über das stählerne Seil einer Bergewinde, die fest mit dem zu befreienden Fahrzeug verbunden war, mit der Anhängerkupplung des Fahrzeugs des Beklagten zu 1. Das Fahrzeug des Beklagten zu 1 stand sodann während der nachfolgenden Bergeversuche eingebremst mit ausgeschaltetem Motor, während das zu befreiende Fahrzeug sich mit eigener Antriebskraft fort- und zugleich über die Winde aus der Senke herauszuziehe...