Wie gezeigt, muss der Tatrichter bei Beurteilung der erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Vortäuschung das gesamte ihm unterbreitete Tatsachenmaterial ausschöpfen und einer Gesamtwürdigung unterziehen. Dass dies – im Übrigen auch beim Beweis des äußeren Bildes – nicht immer geschieht, zeigt auch der nächste Fall. Diesmal hat das Berufungsgericht allerdings den Beweis des Diebstahls vorschnell als geführt angesehen. Im Folgenden sollen zur Demonstration nur einige vom Berufungsgericht nicht gewürdigte Umstände aufgezeigt werden.
(aa) Die Klägerin betrieb in Polen u.a. einen Kfz-Handel. Sie behauptete den Diebstahl eines hochwertigen Pkw Mercedes, der bei einem Werkstattaufenthalt am 23.3.2005 einen Kilometerstand von 21.500 km aufwies. Das Fahrzeug soll nach Behauptung der Klägerin am 23.12.2005 im Stadtgebiet Straßburg, während sie und ihr Ehemann den Weihnachtsmarkt besucht hätten, gestohlen worden sein. Den empfindlichen Abschleppschutz habe man nicht aktiviert. Die Laufleistung des Fahrzeugs habe circa 24.000 km betragen. Die Beklagte hatte die Entwendung bestritten und vorgetragen, das Fahrzeug sei bereits im Herbst 2005 in die Ukraine überführt worden. Die Laufleistung des Fahrzeuges habe – wie die Klägerin bei der französischen Polizei auch angegeben habe und sich zudem hochgerechnet auf der Grundlage der bisherigen Benutzung ergebe – circa 42.000 km betragen. Das Berufungsgericht hatte der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die Klägerin habe den Beweis für das äußere Bild einer Entwendung erbracht, hingegen sei es der Beklagten nicht gelungen, eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für eine Vortäuschung darzutun.
(bb) Den Senat hat weder das eine noch das andere überzeugt. Er hat festgestellt, das Berufungsgericht habe unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG das zu berücksichtigende Tatsachenmaterial in einer Häufigkeit unerwähnt gelassen, dass nicht ausgeschlossen werden könne, es habe sich von vornherein nur ausschnittsweise damit befasst, es im Übrigen aber weder in seinen Einzelheiten noch in seiner Gesamtheit in Erwägung gezogen. Zum Beispiel:
- Es gab widersprüchliche Angaben über den Zeitraum, zu dem der Diebstahl stattgefunden haben sollte.
- Die Klägerin und ihr Ehemann hatten die Deaktivierung des Abschleppschutzes damit erklärt, dass die Straße, in der das Fahrzeug abgestellt worden sei, von Lkw so stark befahren werde, dass ein Fehlalarm durch Erschütterungen zu befürchten gewesen sei; diese Vorgehensweise sei auf Empfehlung des Verkäufers bzw. des Herstellers (Betriebsanleitung) erfolgt. Demgegenüber ergab sich aus den Ermittlungsakten, dass zur Aktivierung des Abschleppschutzes das Fahrzeug vorne oder hinten 10-15 cm vom Boden entfernt oder alle vier Räder gleichzeitig angehoben werden müssen. In der Betriebsanleitung wurde die Deaktivierung deshalb nur für den Fall empfohlen, dass eine Stapel- oder Etagengarage benutzt wird.
- Im Protokoll der französischen Polizei war die Laufleistung mit 42.000 km angegeben, von der Klägerin gegenüber dem Versicherer mit nur 24.000 km. Dem dazu von der Klägerin behaupteten "Zahlendreher", der sich durch sprachliche Schwierigkeiten erklären lasse, stand entgegen, dass nach Maßgabe des Protokolls eine deutschsprachige Polizistin anwesend gewesen war, die übersetzt hatte.
- Zum Beweis der geringeren Laufleistung hatte die Klägerin im Verlauf des Berufungsverfahrens eine polnische Werkstattrechnung vorgelegt, die auswies, dass der Pkw sich am 3.11.2005 in Polen zur Reparatur befunden habe und einen Kilometerstand von 23.316 km aufwies. Indessen ergab sich aus einem auf dem Rechnungspapier befindlichen Aufdruck, dass dieses Rechnungsformular erst im vierten Quartal 2006 gedruckt worden war.
- Das Fahrzeug war schließlich nach Erkenntnissen der Strafverfolgungsorgane bereits am 18.11.2005 von einem Zeugen in die Ukraine überführt worden, gegen den wegen organisierter Kriminalität (Verschieben hochwertiger Fahrzeuge) ermittelt wurde. Der Zeuge konnte bei der Überführung den Originalfahrzeugschein vorlegen. In der von ihm vorgelegten Vollmacht war ebenfalls die Originalfahrzeugnummer angegeben. Das Berufungsgericht ist dagegen davon ausgegangen, das Kennzeichen des Fahrzeugs und der Originalfahrzeugschein, der unstreitig bei der Grenzkontrolle in der Ukraine präsentiert worden war, seien "nicht als solche identifizierte Fälschungen" gewesen. Das hat das Berufungsgericht weder begründet noch hat sich dafür in den Akten sonst eine Stütze gefunden.
Es sollte bei diesen Aspekten Bewenden haben, es gab derer noch einige mehr. Der Senat hat dem Berufungsgericht deshalb aufgeben müssen, sich erneut mit der Sache zu befassen.
Auf eine Bemerkung will ich in diesem Zusammenhang aber nicht verzichten: Was hier vorgestellt worden ist, sind gewissermaßen "Ausreißer". An ihnen kann gut aufgezeigt werden, wo Fehlerquellen liegen und wie man Fehler vermeiden kann. Das gilt sowohl für die Gerichte wie für den Vortrag der beteiligten Rechtsanwälte. Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass ...