RVG § 15; VV RVG Nr. 3100,3104

1. Wird in einem Verfahren mündlich verhandelt und dieses sodann mit einem anderen Verfahren verbunden, in dem bisher noch nicht mündlich verhandelt wurde, so ist die bereits entstandene Terminsgebühr auf die nach Verbindung aus dem Gesamtstreitwert zu ermittelnde Terminsgebühr (Nr. 3104 RVG-VV) anzurechnen.

2. Sind Gebührentatbestände – hier die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV – jeweils sowohl vor als auch nach der Verbindung entstanden, so steht dem Rechtsanwalt ein Wahlrecht zu, ob er die Gebühren aus den Einzelwerten oder aus dem Gesamtwert nach Verbindung verlangt. Wird die Klage erst nach Verbindung erhöht, so kann die Erhöhung nur nach dem Gesamtstreitwert des verbundenen Verfahrens berechnet werden.

BGH, Beschl. v. 14.4.2010 – IV ZB 6/09

Aus den Gründen:

Der Kläger hatte gegen den Beklagten vor dem LG Bautzen im Rechtsstreit 3 O 693/06 auf Zahlung von 4.323,17 EUR geklagt, der Beklagte hat Widerklage über 8.551,47 EUR erhoben. In diesem Rechtsstreit hat das LG mündlich verhandelt und durch späteren Beschluss den Rechtsstreit 3 O 685/06 hierzu verbunden. Im Verfahren 3 O 685/06 hatte der Kläger gegen denselben Beklagten vor dem LG Bautzen auf Zahlung von 26.313,47 EUR geklagt. Bis zur Verbindung hatte im Rechtsstreit 3 O 685/06 keine mündliche Verhandlung stattgefunden, sondern erst anschließend im verbundenen Verfahren, das unter dem Aktenzeichen 3 O 685/06 weitergeführt wurde. Nach Verbindung hatte der Kläger gegen die Widerklageforderung mit verschiedenen Forderungen die Aufrechnung erklärt. Über diese hatte das LG in seinem Urteil in Höhe von 3.951,47 EUR entschieden.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers machte im Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. § 11 RVG gegen seinen Auftraggeber folgende Gebühren und Auslagen geltend:

I. Rechtsstreit 3 O 693/06

Nach einem Gegenstandswert von 4.323,17 EUR (Klage) + 8.551,47 EUR (Widerklage) = 12.874,64 EUR:

 
1. 1,3 Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 12.874,64 EUR) 683,80 EUR
2. 1,2 Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 12.874,64 EUR) 631,20 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 253,65 EUR
  Summe: 1.588,65 EUR

II. Rechtsstreit 3 O 685/06

Nach einem Gegenstandswert von 26.313,47 EUR (Klage) + 3.951,47 EUR (entschiedene Aufrechnung) = 30.264,94 EUR:

 
1. 1,3 Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 30.264,94 EUR) 1.079,00 EUR
2. 1,2 Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 30.264,94 EUR) 996,00 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 398,05 EUR
  Summe: 2.493,05 EUR
  Für beide Verfahren zusammen somit: 4.081,70 EUR

Der Rechtspfleger des LG Bautzen hat dem Vergütungsfestsetzungsantrag im vollen Umfang entsprochen. Auf die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Antragsgegners (Klägers) hat das OLG Dresden die Gesamtvergütung auf 3.429,34 EUR herabgesetzt. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Rechtsanwalts hat der BGH zurückgewiesen.

Aus den Gründen: [7] a) Die Frage, welche Terminsgebühren anfallen, wenn zunächst in einem Rechtsstreit mündlich verhandelt worden ist und zu einem späteren Zeitpunkt eine Verbindung mit einem anderen Verfahren erfolgt, in dem bis zur Verbindung nicht mündlich verhandelt wurde, wird in Rspr. und Literatur unterschiedlich beantwortet (offen gelassen bei BGH, NJW 1988, 1204 unter D).

[8] aa) (1) Im Sinne des Beschwerdegerichts geht die überwiegend vertretene Auffassung davon aus, dass die bereits entstandene Terminsgebühr auf die nach Verbindung aus dem Gesamtstreitwert zu ermittelnde Terminsgebühr anzurechnen ist (OLG Köln JurBüro 1987, 380; OLG München JurBüro 1986, 556; OLG Bamberg JurBüro 1986, 219; OLG Stuttgart JurBüro 1982, 1670; OLG Zweibrücken JurBüro 1981, 699; KG Rpfleger 1973, 441; Niedersächsisches FG EFG 2008, 242; VGH Baden-Württemberg NVwZ-RR 2006, 855; VG Hamburg NVwZ-RR 2008, 741; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG 18. Aufl. VV 3100 Rn 86, 88; Xanke in Göttlich/Mümmler, RVG 3. Aufl. "Verbindung" 2.2 S. 1053 1; Fraunholz in Riedel/Sußbauer, RVG 9. Aufl. § 7 Rn 21, § 15 Rn 29; Keller in Riedel/Sußbauer a.a.O. VV Teil 3 Vorbem. 3 Rn 36; Enders, JurBüro 2007, 169, 170).

[9] (2) Andere nehmen an, dass neben der bereits angefallenen Terminsgebühr eine weitere aus dem höheren Streitwert nach der Verbindung zu errechnen und diese in dem Verhältnis zu kürzen ist, das dem Anteil der schon verhandelten Sache am Gesamtstreitwert nach Verbindung entspricht (OLG Düsseldorf Rpfleger 1995, 477; 1978, 427; OLG Frankfurt NJW 1958, 554 m. zust. Anm. Tschischgale; AnwK-RVG/Onderka/N. Schneider, 5. Aufl. VV Vorbem. 3 Rn 208 f.; Feller in Göttlich/Mümmler aaG "Terminsgebühr des Teils 3" 9.2 S. 986; Hartmann, Kostengesetze 39. Aufl. § 2 RVG Rn 5). Nur diese Berechnung werde dem Grundsatz gerecht, dass einer Prozessverbindung gebührenrechtlich keine rückwirkende Kraft zukomme und dass durch sie – anders als bei einer nachträglichen Klageerweiterung oder Widerklage – keine Gebührennachteile e...

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