Am 24./25.6.2011 fand die 4. Berliner Fachtagung "Der Verkehrsunfall im Versicherungsrecht" statt. Ein Themenschwerpunkt waren die Auswirkungen von Alkohol und anderen Drogen auf die Fahrtüchtigkeit, das Bewusstsein und den Versicherungsschutz. Herr Kollege Schubach, FA für Versicherungsrecht, sowie der Toxikologe Prof. Musshoff referierten hierzu aus ihrer jeweiligen fachlichen Sicht, Prof. Dencker als Strafrechtslehrer befasste sich zudem mit den Auswirkungen von Gesetzesverstößen der Ermittlungsbehörden. Es lag daher nahe, den in Rechtsprechung und Politik seit einiger Zeit diskutierten Richtervorbehalt des § 81a StPO im Hinblick auf die Blutentnahme nicht unerwähnt zu lassen. In ihrem Grußwort warb bereits die Justizsenatorin des Landes Berlin für die Bundesratsinitiative des Landes Berlin zu § 81a StPO: Das Land Berlin sehe keine rechtsstaatlichen Bedenken, den Richtervorbehalt im Interesse der Genauigkeit einer ohne Verzögerung durchgeführten Tatsachenfeststellung zu durchbrechen. Die Staatssekretärin des Bundesministeriums der Justiz erwähnte, dass ihr Ministerium sich insoweit noch nicht festgelegt habe, jedoch derzeit zu einer Beibehaltung des Richtervorbehalts tendiere.
Ein zentraler Kritikpunkt an der heutigen Gesetzeslage ist, dass es für die Polizei insbesondere zur Nachtzeit schwierig ist, einen Richter vor der Blutentnahme bei einem Verdächtigen zu einer Anordnung im Sinne des Gesetzes zu veranlassen. Der Zeitablauf bis zur Durchführung der Blutentnahme wird hierdurch manchmal um Stunden verlängert, was aus toxikologischer Sicht den korrekten Nachweis einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt oder den Nachweis fahrtauglichskeitsrelevanter anderer Drogen so sehr verzögert, dass ein gerichtsfester Beweis zum Teil nicht mehr geführt werden kann. Diese Probleme sollen bei einigen Polizeibehörden bereits dazu geführt haben, die Kontrolldichte im Hinblick auf alkoholisierte Kraftfahrer herabzusetzen mit der Argumentation, wenn denn die Justiz die Polizeiarbeit so sehr erschwere, müsse man eben alkoholisierte oder unter anderen Drogen stehende Kraftfahrer fahren lassen, so lange nichts passiert sei. Alle redlichen Bürgerinnen und Bürger werden eine solche Konsequenz, bei der "fahrende Alkoholiker" und "fahrende Apotheken" weitgehend unbehelligt blieben, nicht hinnehmen wollen. Was also tun: Das Gesetz ändern und den Richtervorbehalt teilweise aufheben oder flächendeckend einen richterlichen Eildienst einrichten, um jede erforderliche Blutentnahme richterlich anordnen zu lassen? Sicher ist zu bedenken, dass eine Blutentnahme ein – wenn auch regelmäßig harmloser – Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Menschen ist und damit ein Grundrecht berührt. Die Ermittlungsbehörden sind zudem jahrzehntelang problemlos mit dem Richtervorbehalt umgegangen, es gab keine Schwierigkeiten. Letzteres mag allerdings auch daran liegen, dass in einer Vielzahl von Fällen Polizeibeamte Gefahr im Verzug angenommen und die richterliche Anordnung durch ihre eigene ersetzt haben. Man wird sich aber auch fragen müssen, was denn ein Eilrichter, der telefonisch oder auch auf elektronischem Wege von dem Verdachtsfall einer Alkohol- oder Drogenfahrt erfährt, wirklich prüfen kann und muss, bevor er auf eben diesem Wege die Blutentnahme durch einen Arzt anordnet. In 99 % aller Verdachtsfälle wird die Blutentnahme unproblematisch anzuordnen sein. Es ist allerdings stets so, dass Gesetze und Vorschriften auch und gerade denjenigen Bürger schützen sollen, bei dem vielleicht kein Regelfall vorliegen könnte. Die Diskussion über den Richtervorbehalt ist an dieser Stelle nicht beendet, sondern steht erst am Anfang jedenfalls der politischen Diskussion.
Einhellig begrüßt wurde das zwei Tage zuvor am 22.6. ergangene Urteil des 4. Zivilsenats des BGH, das in einem obiter dictum klarstellt, dass bei Fahren im Zustand der absoluten Fahrunsicherheit eine Kürzung der Versicherungsleistung bis hin zur gänzlichen Leistungsversagung in Betracht kommt. Das Ausmaß der Kürzung ist nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles allerdings stets eine tatrichterliche Entscheidung.
RA Michael Bücken, Köln