„[1] Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates v. 29.7.1991 über den Führerschein (ABl L 237, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/65/EG der Kommission v. 27.6.2008 (ABl L 168, S. 36) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/439).
[2] Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau G., einer in V (Deutschland) wohnhaften deutschen Staatsangehörigen, die Inhaberin eines in der Tschechischen Republik ausgestellten Führerscheins ist, und dem Freistaat Bayern wegen einer Entscheidung, mit der Frau G. das Recht aberkannt wurde, von diesem Führerschein im deutschen Hoheitsgebiet Gebrauch zu machen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
[3] Gem. dem vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 sind aus Gründen der Sicherheit im Straßenverkehr Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins festzulegen.
[4] In Art. 1 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie heißt es:
“(1) Die Mitgliedstaaten stellen den einzelstaatlichen Führerschein gem. den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem EG-Muster in Anhang I oder Ia aus. …
(2) Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.’
[5] Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:
“Die Ausstellung des Führerscheins hängt außerdem ab
…
b) vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student – während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten – im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats.’
[6] Nach Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 kann jede Person nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein.
[7] Art. 8 Abs. 2 und 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 bestimmt:
“(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.
…
(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Abs. 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde.’
[8] Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
“Im Sinne dieser Richtlinie gilt als ordentlicher Wohnsitz der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt.’
[9] Art. 12 Abs. 3 dieser Richtlinie sieht vor:
“Die Mitgliedstaaten unterstützen einander bei der Durchführung dieser Richtlinie und tauschen im Bedarfsfall Informationen über die von ihnen registrierten Führerscheine aus.’
Nationales Recht
[10] § 28 Abs. 1 und 4 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) v. 18.8.1998 (BGBl 1998 I S. 2214) in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnisverordnung v. 7.1.2009 (BGBl 2009 I S. 29) bestimmt:
“(1) Inhaber einer gültigen [Fahrerlaubnis der Europäischen Union] oder [des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)], die ihren ordentlichen Wohnsitz i.S.d. § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Abs. 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. …
…
(4) Die Berechtigung nach Abs. 1 gilt nicht für Inhaber einer [Unions-] oder EWR-Fahrerlaubnis,
…
2. die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler iS.d. § 7 Abs. 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben,
3. denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,
…
In den Fällen des S.1 Nr. 2 und 3 kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen.’
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage
[11] Frau G., eine 1955 geborene deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in V, Deutschland, war nie im Besitz eines deutschen Führerscheins.
[12] Am 31.5.2006 erhielt sie einen vom Magistrat P (Tschechische Republik) ausgestellten Führerschein, der zum Wohnort der Inhaberin den Eintrag “V...