StVG § 17; StVO § 3
Leitsatz
Fährt eine Pkw-Fahrerin auf einer BAB bei Dunkelheit mit 100 km/h über eine Reifenkarkasse, die ein Lkw verloren hat, haftet ausschließlich dieser für den Schaden, da hinter dem überwiegenden Verschulden des LKW-Fahrers die von dem Pkw ausgehende Betriebsgefahr zurücktritt.
(Leitsatz des Einsenders)
AG Sinzig, Urt. v. 24.11.2010 – 14 C 405/10
Sachverhalt
Die Fahrerin des Pkw des Kl. fuhr bei Dunkelheit auf der BAB mit 100 km/h und nach der von dem Kl. behaupteten Umschaltens von Fern- auf Abblendlicht auf einen Teil der Reifenkarkasse auf, den ein holländischer Lkw kurz zuvor verloren hatte. Der Kl. macht den Ersatz des Schadens aus dem Verkehrsunfallereignis geltend und hat gemeint, das Unfallereignis sei für die Fahrerin seines Fahrzeuges unvermeidbar gewesen; jedenfalls werde die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges durch das überwiegende Verschulden des LKW-Fahrers kompensiert. Das bekl. Büro Grüne Karte e.V. hat die von der Fahrerin des Fahrzeuges des Kl. eingehaltene Geschwindigkeit von angegebenen 100 km/h für überhöht gehalten und behauptet, die Geschwindigkeit sei höher gewesen. Jedenfalls sei von einer Mithaftung aufgrund der dem Kl. zuzurechnenden Betriebsgefahr auszugehen.
Das AG hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
2 Aus den Gründen:
„Die Klage ist begründet. Der Bekl. ist gem. §§ 7, 17 StVG, § 115 VVG verpflichtet, dem Kl. den durch das Unfallereignis entstandenen Schaden zu ersetzen.
Gem. § 17 StVG hat eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr zu erfolgen. Bei dieser Abwägung sind neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen.
Die damit gebotene Abwägung der für den Eintritt und Höhe des Schadens bedeutsamen Umstände führt im vorliegenden Fall dazu, dass der Bekl. den Schaden allein zu tragen hat.
Davon, dass die Fahrerin des klägerischen Fahrzeuges gegen das Sichtfahrgebot verstoßen hätte, kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Der Kl. hat vorgetragen, dass die Fahrerin des klägerischen Fahrzeuges mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h gefahren sei. Soweit der Bekl. vorträgt, die Geschwindigkeit habe tatsächlich höher gelegen, ist dies erkennbar bloße Spekulation.
Zwar darf ein Kraftfahrer bei Dunkelheit auch auf Autobahnen nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke halten kann. Auf Hindernisse, die gemessen an den jeweiligen Sichtbedingungen erst außergewöhnlich spät erkennbar werden, braucht ein Kraftfahrer seine Geschwindigkeit jedoch nicht einzurichten. Das Sichtgebot gilt auch auf Autobahnen nicht für solche Hindernisse, die gemessen an den jeweils herrschenden Sichtbedingungen erst außergewöhnlich spät erkennbar werden (vgl. LG München 2 zfs 2007, 76 ff.; OLG Hamm VRs 1984, 182; LG Bielefeld NZV 1991, 235).
So liegt der Fall hier. Bei dem Teil einer Reifenkarkasse handelt es sich um ein außergewöhnlich schwer zu erkennendes Hindernis. Ein Reifenteil ist auf der Fahrbahn insb. bei Dunkelheit nur außergewöhnlich schwer erkennbar. Mit einem derartigen Hindernis auf der Fahrbahn musste die Fahrerin des Klägerfahrzeuges nicht rechnen.
Die von dem Klägerfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr tritt dabei angesichts des überwiegenden Verschuldens des Halters bzw. Führers des Beklagtenfahrzeuges zurück. Der Umstand, dass das Fahrzeug einen Teil eines Reifens verloren hat, begründet einen Anschein zu Lasten des Bekl. für ein Verschulden dahingehend, dass das Fahrzeug vor Fahrantritt nicht oder nicht genügend auf seine Verkehrssicherheit überprüft wurde. Den Fahrer des Lkw trifft damit ein ganz überwiegendes Verschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalls, die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt dahinter zurück.“
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Tillmann Krach, Mainz
3 Anmerkung
Zu den Grundsätzen des Fahrens auf Sicht auf Autobahnen vgl. die Anmerkung zu LG München zfs 2007, 76.
Ausgangspunkt für die Haftung eines Autofahrers bei dem Überfahren eines schwer erkennbaren Gegenstandes bei Dunkelheit auf der Autobahn ist die Klärung der Erkennbarkeit des Hindernisses auf der BAB. Neben den bereits in der Rspr. angeführten Fällen, in denen eine rechtzeitige Erkennbarkeit verneint worden ist, nämlich bei einem nicht beleuchteten Splitthaufen auf der Fahrbahn (BGH VersR 1972, 1067), einer herabgefallenen Warntafel (OLG Hamm NZV 1988, 64), war ein dunkler Reifen, der auf der Fahrbahn lag, als nicht rechtzeitig erkennbar bezeichnet worden (vgl. BGH NJW 1984, 2412, 2413). Weitere Rspr. hat sich mit der Erkennbarkeit von dunkel gekleideten Personen auf der Fahrbahn befasst, die infolge geringen Kontrastes zur dunklen Fahrbahn und infolge fehlender Beleuchtung schwer erkennbar waren (vgl. OLG Hamm DAR 1972, 112; OLG Hamm DAR 1973, 305; vgl. auch OLG Schleswig NZV 1995, 445). Auf dieser Linie liegen auch die Entscheidungen des LG Bielefeld (NZV 1991, 235) und des LG Hildesheim (NJW 2009, 560).
Im ersteren Falle war eine auf der linken Fah...