Die Schätzung der Geschwindigkeit ist eine sehr unzuverlässige Methode, die mit großer Vorsicht zu bewerten ist. Angaben von Zeugen, wonach das Fahrzeug eine bestimmte Geschwindigkeit gefahren sein soll, stellen eine grobe Schätzung dar, die ohne konkreten Anhaltspunkt einer Beurteilung nicht zugrunde gelegt werden kann (KG, Beschl. v. 28.1.2010 – 12 U 40/09, NZV 10, 512). Geschwindigkeitsschätzungen ungeschulter Zeugen ohne Einbeziehung ausreichender Bezugstatsachen sind unverwertbar (KG, a.a.O.). Da Fehlschätzungen sehr naheliegen, sind die Angaben kritisch zu prüfen. Ohne technische Hilfsmittel oder Vergleichsmöglichkeit kann die Geschwindigkeit eines frontal herankommenden Fahrzeuges auch nicht annähernd zuverlässig geschätzt werden (OLG Schleswig VM 61, 16; BayObLG v. 23.12.64 – 1a St 545/64).
Die obergerichtliche Rechtsprechung hat sich in der Vergangenheit mit einigen dieser Fälle beschäftigt. Beispielhaft soll auf nachfolgende Entscheidungen hingewiesen werden: Die von einem Pkw-Beifahrer abgegebene, auf ein anderes Fahrzeug bezogene Geschwindigkeitsschätzung hat wegen der grundsätzlichen Schwierigkeit zutreffender Schätzungen keinen eigentlichen Beweiswert (OLG Hamm, Urt. v. 16.1.1996 – 27 U 126/95, zfs 1996, 249). Auch der Geschwindigkeitsschätzung eines Zeugen, der Berufskraftfahrer ist, kommt wenig Beweiskraft zu, wenn die Beobachtung aus einer ungünstigen Position heraus getätigt wurde und eine geringe Überschreitung des mittleren Geschwindigkeitsbereichs vorliegt (AG Düsseldorf, Urt. v. 16.12.1985 – 47 C 364/85, r+s 1986, 286). Die Wahrnehmung eines von hinten herannahenden Fahrzeugs im Außenspiegel ist nicht geeignet, um eine hinreichende Gewissheit (§ 286 ZPO) über die Geschwindigkeit des Fahrzeugs zu gewinnen (LG München I, Urt. v. 11.5.2010 – 17 O 13169/09, MDR 2010, 1253).
Im Zivilverfahren ist jedoch zu beachten, dass es – anders als in § 244 StPO – keine ausdrückliche Regelung für die Ablehnung von Beweisanträgen gibt. In Anlehnung an § 244 StPO kommt hier insbesondere der Ablehnungsgrund des ungeeigneten Beweismittels in Betracht. Die Ungeeignetheit eines Beweismittels kann nur bejaht werden, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann (BVerfG, Beschl. v. 28.2.1992 – 2 BvR 1179/91, NJW 1993, 254; Greger, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl., zu § 284 Rn 10a).
Um mit dem Zeugenbeweis nicht ausgeschlossen zu werden, sollte man stets zu der Sachkunde des Zeugen und den Bezugstatsachen substantiiert vortragen. So sollte bspw. dargelegt werden, an welcher Stelle man das Fahrzeug erstmals gesehen hat, und ein Bezug zum Straßenverlauf, zu Schildern, Gebäuden usw. hergestellt werden. Es empfiehlt sich, stets die Geschwindigkeit und die Unfallursächlichkeit der behaupteten Geschwindigkeitsüberschreitung unter Sachverständigenbeweis zu stellen. Unfallanalytiker können u.a. aus den Schadensbildern bzw. dem EES-Wert (Energy Equivalent Speed) die Kollisionsgeschwindigkeit ermitteln. Die Ausgangsgeschwindigkeit kann bspw. anhand einer vorhandenen Blockierspur berechnet werden.