Leitsatz (amtlich)
Zur Feststellung einer bestimmten Geschwindigkeit eines Fahrzeugs, insbesondere eines Fahrzeugs im Querverkehr, ist der Zeugenbeweis jedenfalls dann ein ungeeignetes Beweismittel, wenn nicht die besondere Sachkunde des Zeugen dargelegt wird oder Bezugstatsachen erläutert werden.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 17 O 117/08) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
Beides ist nicht der Fall.
1. Zu Recht ist das LG in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass die Zeugin R. den streitgegenständlichen Unfall durch eine Sorgfaltspflichtverletzung verschuldet hat und die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs dahinter vollständig zurücktritt.
Dabei hat das LG richtig ausgeführt, dass sich der Unfall unstreitig innerhalb des Einmündungsvierecks der Kreuzung ereignete und dem Beklagten zu 2. ggü. der Zeugin Al-Samman die Vorfahrt gebührte.
Die vom LG vorgenommene Beweiswürdigung, wonach es nicht die Überzeugung hat gewinnen können, dass an dem Unfall ein Verschulden des Beklagten zu 2., insbesondere eine Geschwindigkeitsüberschreitung mitursächlich war, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die von der Berufung hiergegen vorgebrachten Angriffe haben keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt der Beweiswürdigung des LG auch in der Sache.
a. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
Dies ist nicht der Fall, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges sich bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen.
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, den Sachverhalt auf Grundlage des Parteivorbringens möglichst vollständig aufzuklären (BGH, Urt. v. 26.3.1997 - IV ZR 91/96, NJW 1997, 1988). Er hat die in erheblicher Weise beantragten Beweise erschöpfend zu erheben und sich in der Urteilsbegründung mit dem Prozessstoff und dem Beweisergebnis umfassend und widerspruchsfrei auseinanderzusetzen (BGH, Urt. v. 15.3.2000 - VIII ZR 31/99, NJW 2000, 2024; KG, Urt. v. 12.1.2004 - 12 U 211/02, DAR 2004, 223). Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 286 Rz. 3, 5 und 6 m.w.N.).
Dabei darf der Richter im Rahmen seiner Überzeugungsbildung einer Partei mehr Glauben schenken, als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung als erwiesen ansehen (KG, Urt. v. 3.11.2003 - 22 U 136/03, KGReport Berlin 2004, 38 =MDR 2004, 533), wenn dies nach den übrigen Beweismitteln oder nach dem Inhalt der Akten seiner Überzeugung entspricht.
b. An diese Grundsätze der freien Beweiswürdigung hat sich das LG gehalten. Es hat den Beklagten zu 2. persönlich gehört sowie u.a. die Zeugin R. vernommen und dies auf den Seiten 5 und 6 des angegriffenen Urteils gewürdigt.
Dabei hat das LG dargelegt, warum es trotz der Aussage der Zeugin R., der Beklagte zu 2. sei nach ihrer Einschätzung 50-60 km/h gefahren, eine überhöhte Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs nicht hat feststellen können.
Soweit die Berufung der Auffassung ist, dass das LG die Aussagen insbesondere auch der Zeugen F..., Z... und A... im Hinblick auf die gefahrene Geschwindigkeit des von dem Beklagten zu 2. gefahrenen Fahrzeugs nicht hinreichend gewürdigt habe, verhilft ihr dies nicht zum Erfolg.
Aussagen von Zeugen sind grundsätzlich nicht geeignet, eine bestimmte Geschwindigkeit eines Fahrzeugs nachzuweisen. Dies gilt erst recht, wenn es sich um ungeschulte Zeugen handelt. Es ist nach der Erfahrung der Verkehrssenate für nicht besonders darin geübte Personen ausgeschlossen, die Geschwindigkeit eines anderen Fahrzeugs ohne weitere Orientierungen auch nur annähernd verlässlich zu schätzen. Für den Beweis einer bestimmten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist der Zeugenbeweis deshalb ein ungeeignetes Beweismittel, wenn nicht die besondere Sachkunde des Zeugen dargelegt oder Bezugstatsachen erläutert werden (vgl. KG, Beschl. v. 15.1.2007 - 12 U 205/06 - VRS 113, 28 = SP 2007, 315 = NZV 2007...