Leitsatz (amtlich)

Wer vom rechten über den linken Fahrstreifen in einen Mittelstreifendurchbruch zum Zwecke des Wenden einfährt, haftet im Falle der Kollision mit einem im linken Fahrstreifen herannahenden Fahrzeug allein.

Lediglich geschätzte Geschwindigkeits-, Zeit und Entfernungsangaben von Zeugen stellen ohne Einbeziehung ausreichender Bezugstatsachen erfahrungsgemäß keine verlässliche Entscheidungsgrundlage dar, weil das Geschwindigkeits-, Zeit- und Entfernungsempfinden individuell verschieden und von subjektiven Faktoren abhängig ist.

Spontane und unverfälschte Äußerungen am Unfallort haben im Rahmen der Beweiswürdigung eine starke Bedeutung, weil sie erfahrungsgemäß richtig sind.

Die Behauptung, das Fahrzeug habe nicht nur kurz, sondern längere Zeit vor dem Unfall gestanden, kann nicht mittels eines Sachverständigengutachtens bewiesen werden.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 17 O 88/08)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

 

Gründe

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

I. Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

Das LG hat die Klage in der angefochtenen Entscheidung zu Recht abgewiesen. Die Beweiswürdigung durch das LG, der der Senat auch in der Sache folgt, ist nicht zu beanstanden.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (KG, Urt. v. 8.1.2004 - 12 U 184/02, KGReport Berlin 2004, 269; Senat, Urt. v. 10.5.2004 - 12 U 57/03; vgl. auch KG [22. ZS], KGReport Berlin 2004, 38 = MDR 2004, 533).

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 286 Rz. 13; Senat, Urteil vom 24.9.1998, - 12 U 4638/97; KG, NZV 2004, 355;).

Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl. 2009, § 286 Rz. 3, 5).

b) An diese Regeln der freien Beweiswürdigung hat das LG sich im angefochtenen Urteil gehalten. Es ist nicht zu beanstanden, dass das LG den Aussagen der Zeugin F. gefolgt ist. Es hat auf S. 3 f. des Urteils im Einzelnen dargelegt, dass und warum es dieser Aussage und nicht der Aussage der Zeugin K. folgt. Dies genügt den Anforderungen an eine Beweiswürdigung.

Die vom Kläger gegen die Beweiswürdigung vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Die Beweiswürdigung verstößt weder gegen Denkgesetzte noch ist sie widersprüchlich.

aa) Die Anhörung der Zeugin F. war keine Ausforschung, vielmehr war diese Zeugin gegenbeweislich zu hören. Nach Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugin K. war das LG deshalb verpflichtet auch die gegenbeweislich benannte Zeugin F. zu hören.

bb) Die auf den Seiten 3 bis 5 der Berufungsbegründung gegebene Schilderung der Vernehmung der Zeugin F. verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Gleiches gilt für die Ausführungen auf den Seiten 6 Mitte bis 7 Mitte der Berufungsbegründungsschrift. Allein daraus, dass der Kläger selbst das Beweisergebnis anders wertet, folgt kein Rechtsfehler des LG (Senat, Beschl. v. 16.11.2006 - 12 U 223/05).

cc) Soweit der Kläger auf den Seiten 5 bis 6 versucht, durch Berechnungen darzulegen, dass der Kläger längere Zeit vor dem Unfall gestanden haben muss, kann dies der Berufung schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil diese Berechnungen auf den laienhaften Zeit-, Entfernung- und Wegstreckenangaben der Zeugin F. beruhen. Dem Senat, der schwerpunktmäßi...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?