1) Der dem Ein- und Aussteigenden vorgeschriebene höchste Sorgfaltsgrad wonach eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sein muss (§ 14 StVO; vgl. OLG Hamm NZV 2000, 209) hat Überlegungen nahe gelegt, ob damit zugleich ein Beweis des ersten Anscheins gegen denjenigen spricht, der in ein Fahrzeug ein- oder ausgestiegen ist, wenn sich der Verkehrsunfall in unmittelbaren örtlichen und zeitlichem Zusammenhang mit dem Ein- und Aussteigen ereignet hat.
Das wird vielfach bejaht, wobei für diese Annahme spricht, dass mit der Anordnung des größtmöglichen Sorgfaltsmaßtabes zugleich angeordnet wird, dass den Ein- oder Aussteigenden grds. die Verantwortung an der Gefahr- und Folgelosigkeit des gefährlichen Vorgangs trifft (für Anscheinsbeweis gegen den Ein- und Aussteigenden vgl. BGH DAR DAR 2010, 135; OLG Düsseldorf DAR 2015, 85; OLG Köln VersR 2015, 999; OLG Hamm DAR 2000). Ob diese Festlegung überzeugt, erscheint angesichts zahlreicher Entscheidungen zu der Unfallkonstellation des schadensträchtigen Ein- und Aussteigens zweifelhaft. Gerade die Unfallsituationen, in denen festgestellt wird, dass der Unfallgegner des Ein- und Aussteigenden ein unfallursächliches Mitverschulden gezeigt hat, lassen Zweifel aufkommen, ob die Lebenserfahrung den Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehme seine Pflicht zur Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Ob ein Tatbestand vorliegt, für den nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verletzung typisch ist (vgl. BGHZ 192, 84 ff; BGH VersR 2011, 234; BGH VersR 2007, erscheint angesichts des inzwischen entwickelten Sorgfaltskatalogs gegenüber dem Unfallgegner des Ein – und Aussteigenden zweifelhaft. Vor allem steht es wohl nicht fest, dass es einen typischen Ein- und Ausstiegunfall gibt.
War die Tür schon so lange geöffnet, dass sich der Unfallgegner hierauf einstellen konnte, liegt ein Satz der Lebenserfahrung nicht vor, der für ein Verschulden des Ein- oder Aussteigenden spricht (vgl. Freymann DAR 2019, 242, 246 unter Hinweis auf Scheidler DAR 2012, 313, 318). Ein Anscheinsbeweis kann dagegen angenommen werden, wenn die Kollision zeitgleich mit der sich öffnenden Tür erfolgt, weil hier ein unsorgfältiges Verhalten des Öffnenden nahe liegt (Freymann, a.a.O.).
2) § 14 StVO unterscheidet nicht danach, ob die Fahrertür oder die Beifahrertür geöffnet wird. Bei der Türöffnung nach rechts können Radfahrer und Fußgänger gefährdet werden, sodass auch insoweit eine Verpflichtung zur rückwärtigen Beobachtung des Austeigenden besteht (vgl. OLG Hamburg NZV 2000, 126; OLG Hamburg VM 70, 15). Eine Garantenpflicht des Fahrers gegenüber dem rechts aussteigenden Beifahrer für ein gefahrloses Aussteigen besteht nicht (vgl. OLG München VersR 1996, 1036). Da das Öffnen einer Tür zum Aussteigen aus einem Kfz zum versicherten Gebrauch eines Kfz gehört (vgl. AKB 2008 A. 1.1.1) genießt der aussteigende Beifahrer Versicherungsschutz in der Kfz-Haftpflichtversicherung (vgl. LG Saarbrücken zfs 2018, 376).
3) Dass die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes eines vorbeifahrenden Fahrzeuges (§ 6 StVO) zu dem Fahrzeug des Ein- und Aussteigenden von weniger als 50 cm zu gering ist und damit ein Mitverschulden begründet, ist allgemein durchgesetzte Auffassung (vgl. KG VRS 69, 98; König, in: Hentschel/König/Dauer, "Straßenverkehrsrecht", 45. Aufl., § 14 StVO Rdn 8). Ansonsten ist situationsbedingt ein ausreichender Abstand zu wählen, ohne dass ein bestimmter Sicherheitsabstand vorher angegeben werden kann.
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 7/2019, S. 376 - 378