VVG §§ 100, 106, 124 Abs. 1; StPO § 406Abs. 3 S. 1
Leitsatz
1. Eine Verurteilung des Versicherungsnehmers im strafprozessualen Adhäsionsverfahren ist für den Versicherer im Deckungsprozess in gleicher Weise bindend wie ein Urteil im Zivilprozess.
2. Der Versicherer kann sich im Deckungsprozess nicht auf einen Haftungsausschluss wegen Vorsatz berufen, wenn der Versicherungsnehmer im Adhäsionsprozess (nur) wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt wurde.
3. Der Versicherer erleidet durch die Bindung an die im Adhäsionsverfahren festgestellte Schuldform keinen Nachteil. Denn wenn der Versicherer – im Rahmen der üblichen Versicherungsbedingungen – einen zivilrechtlichen Haftungsprozess für den Versicherungsnehmer geführt hätte, dann hätte er selbst in Wahrnehmung der Interessen des Versicherungsnehmers dem Vorwurf des Vorsatzes entgegentreten müssen.
OLG Karlsruhe, Urt. v. 31.10.2019 – 9 U 77/17
Sachverhalt
Die Ehefrau des Kl. hat mit der Bekl. einen Haftpflichtversicherungs-Vertrag abgeschlossen. Haftpflicht des Kl. ist mitversichert. Die Bekl. hat nach dem Vertrag Deckung zu gewähren bei Schadensersatzansprüchen, die ein Dritter aufgrund einer unerlaubten Handlung der versicherten Personen geltend macht.
Am 4.10.2014 befuhr der Kl. mit seinem Pkw in G. gegen 16:30 Uhr die B-Straße. Der Zeuge H. R. bog mit seinem Fahrrad vor dem Fahrzeug des Kl. aus einer untergeordneten Straße in die B-Straße ein, um dort in derselben Fahrtrichtung weiterzufahren wie der Kl. Der Kl. war der Meinung, der Zeuge H. R. habe beim Einbiegen die Vorfahrt des Kl. verletzt. Er machte dies dem Zeugen mit Gesten und – bei heruntergedrehter Seitenscheibe – mit Worten deutlich. Der Zeuge H. R. reagierte darauf, indem er – während der Fahrt, als er sich mit seinem Fahrrad links neben dem Fahrzeug des Kl. befand –, mit seiner Faust gegen die Fahrertür des klägerischen Pkw schlug. Dadurch entstand eine Beule in der Tür. In der Folgezeit versuchte der Kl. durch Gesten und durch bestimmte Fahrmanöver, den Zeugen H. R. zum Anhalten zu bewegen. Der Kl. wollte wegen der Beule an seinem Pkw Schadensersatzansprüche geltend machen. Der Zeuge H. R. setzte zunächst die Fahrt mit seinem Fahrrad fort, da er bei einem Anhalten eine weitere emotionale Eskalation der Situation befürchtete. Der Kl. fuhr schließlich mit seinem Fahrzeug ein Stück voraus, hielt an und stieg aus dem Pkw aus. Er stellte sich so auf den Gehweg, auf dem inzwischen der Zeuge H. R. fuhr, dass dieser nicht vorbeifahren konnte. Um den Zeugen anzuhalten, ergriff der Kl. den Lenker des Fahrrads und den Arm des Zeugen. Dies führte dazu, dass sowohl der Zeuge mit seinem Fahrrad als auch der Kl. stürzten. Unstreitig konnte der Zeuge H. R. bei dem Sturz seine Schuhe zunächst nicht aus den Klickpedalen des Fahrrads lösen. Im Zusammenhang mit dem Geschehen erlitt der Zeuge H. R. Verletzungen, und zwar einen komplizierten Knöchelbruch im linken Fuß und einen Bruch im Bereich der Lendenwirbelsäule.
Wegen des Geschehens wurde der Kl. in einem Strafverfahren durch Urteil des AG S wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40,00 EUR verurteilt.
Der Zeuge H. R. hatte sich dem Strafverfahren als Nebenkläger angeschlossen und hatte außerdem Adhäsionsanträge gestellt. Über diese Adhäsionsanträge hat das AG S den Kl. verurteilt, an den Adhäsionskläger 2.180,40 EUR nebst Zinsen zu zahlen und ein Schmerzensgeld i.H.v. 2.500 EUR nebst Zinsen. Zudem wurde festgestellt, dass der Kl. verpflichtet ist, dem Adhäsionskläger H. R. sämtliche künftigen materiellen sowie nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus dem Schadensereignis G. zu ersetzen.
2 Aus den Gründen:
"… 1. Der Anspruch des Kl. ergibt sich aus dem Versicherungsvertrag zwischen seiner Ehefrau und der Bekl. Die Bekl. hat Deckungsschutz zu gewähren für Schadensersatzansprüche Dritter, insb. gem. §§ 823 Abs. 2 BGB, 229 StGB, also bei einer fahrlässigen Körperverletzung. Der Kl. ist als Versicherter berechtigt, die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag gegen die Bekl. geltend zu machen; denn es ist von einer Ermächtigung des Kl. durch die Ehefrau auszugehen. Die Bekl. hat einer Geltendmachung der Ansprüche aus dem Vertrag durch den Kl. nicht widersprochen. Auf die Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Vertrag durch den Versicherten kommt es daher nicht an (…)."
2. Die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Bekl. aus dem Versicherungsvertrag liegen vor. Der Kl. ist unstreitig zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen wegen einer Körperverletzung ausgesetzt. Der Versicherungsvertrag verpflichtet die Bekl. zur Leistung bei derartigen Ansprüchen Dritter.
3. Die Bekl. kann sich nicht auf einen Leistungsausschluss gem. § 103 VVG berufen. Denn dem Schaden, welchen der Kl. dem Zeugen H. R. zugefügt hat, liegt kein vorsätzliches Verhalten zugrunde. Dies ergibt sich aus der Entscheidung des AG S im Urt. v. 3.9.2015 über die Adhäsionsanträge des Zeugen R.
a) Die Entscheidung über die Adhäsionsanträge entfaltet ...