Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung ist nach der Rspr. die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Anordnung maßgeblich.
Sie wird durch eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage grds. nicht rechtswidrig. Dies korrespondiert mit dem Umstand, dass die Rechtmäßigkeit einer Gutachtenanordnung mangels Verwaltungsaktqualität im Fall einer späteren Entziehung der Fahrerlaubnis inzident zu prüfen ist. Dass für die Gutachtensanordnung die Sach- und Rechtslage im Anordnungszeitpunkt maßgebend ist, bedeutet nach BayVGH allerdings nicht, dass eine Beibringungsanordnung trotz Vorliegens neuer Erkenntnisse, die die ursprünglichen Zweifel (vgl. § 11 Abs. 2 S. 1 FeV: "Tatsachen, die Bedenken begründen") an der Fahrgeeignetheit des Betr. ausräumen, aufrechtzuerhalten ist. Vielmehr ist, werden die ursprünglich zu Recht bestehenden Bedenken gegen die Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers auch ohne die Vorlage des geforderten Gutachtens in sonstiger Weise vollständig und – auch für den (medizinisch und psychologisch nicht geschulten) Laien nachvollziehbar – eindeutig ausgeräumt, die Gutachtensbeibringungsanordnung aufzuheben, weil es dann einer medizinischen und/oder psychologischen Untersuchung und der Vorlage eines Fahreignungsgutachtens offensichtlich nicht mehr bedarf. Davon ist allerdings nur dann auszugehen“ wenn keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verbleiben und die ursprünglichen Bedenken eindeutig widerlegt sind.
Wenn zum Zeitpunkt der Gutachtenanordnung zwingend ein Eignungsnachweis in Gestalt eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderlich war, um Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs auszuschließen, entfällt dieses sachliche Bedürfnis nicht durch den Umstand der nachträglichen Tilgung. Die mangelnde Fahreignung des Betr. folgt in den Fällen der Schlussfolgerung nach § 11 Abs. 8 FeV nicht aus einer getilgten Zuwiderhandlung, sondern aus seiner Weigerung zu einer rechtmäßig angeforderten Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.
Beurteilungszeitpunkt für die Entziehung der Fahrerlaubnis
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verfügung, die die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, ist die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestehende Sach- und Rechtslage maßgebend. Danach liegende Umstände – etwa die nachträgliche Vorlage eines für den Betr. günstigen Gutachtens – sind daher nicht für die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung maßgebend, sondern können sich grds. erst in einem Verfahren auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis auswirken.
Das Widerspruchsverfahren ist "verwaltungsbehördliches Verfahren", so dass im Rahmen der "letzten Behördenentscheidung dieses maßgeblich ist. Während eines Widerspruchsverfahrens und bis zu dessen Abschluss durch Widerspruchsbescheid kann danach ein gefordertes Gutachten noch beigebracht werden, da in diesem Fall die "letzte Behördenentscheidung" in Form des Widerspruchsbescheides noch aussteht."
Findet vor Erhebung einer Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte auf dem Gebiet des Fahrerlaubnisrechts nach dem jeweiligen Landesrecht kein Widerspruchsverfahren statt, so stellt die fahrerlaubnisbehördliche Entziehung die letzte Behördenentscheidung in diesem Sinne dar und markiert damit auch den letzten Zeitpunkt, bis zu dem ein Gutachten im Entziehungsverfahren noch berücksichtigungsfähig gewesen wäre.
Im Eilverfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich, wenn bei nach Landesrecht vorgesehenem Widerspruchsverfahren noch kein Widerspruchsbescheid ergangen ist.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung gilt im Rahmen des "Fahreignungs-Bewertungssystems": Hat der Inhaber einer Fahrerlaubnis einen Punktestand erreicht, der nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG die mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und damit die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge hat, ist eine danach eintretende Tilgung von Punkten im Verkehrszentralregister für die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung ohne Bedeutung. Unterschiedliche Auffassungen bestanden darüber, ob Zuwiderhandlungen auch nach Ablauf der Überliegefrist im Rahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems noch verwertet werden können. Dazu hat das BVerwG (unter Bestätigung des Berufungsurteils des BayVGH, Urt. v. 18.6.2019 – 11 BV 18.778) entschieden, dass das Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 S. 1 StVG das für die Berechnung des Punktestandes maßgebliche Tattagprinzip des Fahreignungs-Bewertungssystems (§ 4 Abs. 5 S. 5 bis 7 StVG) überlagert und begrenzt. Die Löschung einer Eintragung im Fahreignungsregister, die ein Jahr nach Tilgungsreife erfolgt (sog. Überliegefrist, vgl. § 29 Abs. 6 S. 2 StVG), hat in den Fällen, in denen der Zeitpunkt der Löschung zwar nach dem maßgeblichen Tattag, aber vor dem des Ergreifens einer Maßnahm...