StVG § 3 Abs. 1 S. 1; FeV §§ 46 Abs. 1, Abs. 3, 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, 11 Abs. 6 S. 2, Abs. 8; VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
1. Die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung, hier im Fall des Eilrechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO, und in Ermangelung einer Widerspruchsentscheidung nach der gegenwärtigen Lage. Dass die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung in den Fällen des § 11 Abs. 8 FeV voraussetzt, dass die Gutachtenanforderung ihrerseits rechtmäßig gewesen ist, bedeutet nicht, dass auch insoweit auf die gegenwärtigen Verhältnisse oder die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entziehungsverfügung abzustellen wäre. Denn die Rechtmäßigkeit einer hierauf gestützten Fahrerlaubnisentziehung hängt davon ab, ob die Behörde von der Nichteignung des Betroffenen ausgehen durfte, weil er einer rechtmäßigen Anordnung nicht nachgekommen ist.
2. Die Überprüfung der Entziehungsentscheidung erfordert eine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der ihr zeitlich vorangegangenen Gutachtenanordnung und nicht eine hypothetische Prüfung, ob die Anordnung auch noch im Zeitpunkt der Entziehungsverfügung getroffen werden könnte. Dabei liegt es in der Natur der Sache, auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der zu überprüfenden Gutachtenanordnung abzustellen (ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur).
3. Wenn zum Zeitpunkt der Gutachtenanordnung zwingend ein Eignungsnachweis in Gestalt eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderlich war, um Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs auszuschließen, entfällt dieses sachliche Bedürfnis nicht durch den Umstand der nachträglichen Tilgung (wie OVG M-V, Beschl. v. 13.2.2007 – 1 M 13/07, juris Rn 7). Zudem folgt die mangelnde Fahreignung des Betroffenen in den Fällen der Schlussfolgerung nach § 11 Abs. 8 FeV nicht aus einer getilgten Zuwiderhandlung, sondern aus seiner Weigerung zu einer rechtmäßig angeforderten Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.
4. Die zur Einholung des angeforderten Gutachtens zu gewährende Frist muss so bemessen sein, dass eine amtlich anerkannte Gutachterstelle aufgrund ihrer Untersuchungsmethode und der bei ihr herrschenden Gegebenheiten zur Erstellung des Gutachtens tatsächlich in der Lage ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Gutachtensanordnung als Gefahrerforschungseingriff zu den Gefahrenabwehrmaßnahmen gehört, die von der Fahrerlaubnisbehörde zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten bzw. mangelnder Eignung verdächtigen Fahrerlaubnisinhabern zu ergreifen sind. Dieser Schutzauftrag ist im Hinblick auf die gegenwärtige potentielle Gefährdung der Verkehrssicherheit durch einen möglicherweise ungeeigneten Kraftfahrer mit der gebotenen Beschleunigung zu erfüllen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
Sächsisches OVG, Beschl. v. 18.5.2020 – 6 B 346/19
1 Aus den Gründen:
"Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom ASt fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gem. § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO beschränkt ist, ergeben nicht, dass es das VG [VG Chemnitz v. 26.11.2019 – 2 L 686/19] zu Unrecht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des ASt gegen die mit Bescheid der AG v. 5.11.2019 verfügte Fahrerlaubnisentziehung anzuordnen."
Das VG hat ausgeführt, die auf § 3 Abs. 1 S. 1 StVG, § 46 Abs. 1 S. 1 und § 11 Abs. 8 FeV gestützte Fahrerlaubnisentziehung sei rechtmäßig. Die AG habe in Anwendung der letztgenannten Vorschrift auf die Nichteignung des ASt zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen dürfen, nachdem dieser das durch Anordnung vom 12.8.2019 wegen wiederholter Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss auf der Grundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b FeV i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV rechtmäßig geforderte medizinisch-psychologische Gutachten zu seiner Fahreignung nicht beigebracht habe. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Beibringungsanordnung habe dem ASt neben der nach § 24a StVG geahndeten Fahrt am 5.3.2019 (Atemalkoholkonzentration von 0,42 mg/l) auch noch die strafgerichtliche Verurteilung mit Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr, begangen am 13.1.2007 (Blutalkoholkonzentration von 1,74 ‰), entgegengehalten werden dürfen. Die zehnjährige Tilgungsfrist gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StVG i.V.m. Nr. 2a StVG a.F. sei unter Berücksichtigung der Anlaufhemmung bis zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis (§ 29 Abs. 5 StVG a.F.) erst am 6.10.2019 abgelaufen. Auch die für die Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens gesetzte Frist bis 12.10.2019 sei angemessen gewesen.
Das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen führt nicht zu einer Abänderung des angegriffenen Beschlusses.
Entgegen der Auffassung des ASt kommt es nicht darauf an, dass die Voraussetzungen für die Anordnung eines Gutachtens nach § 46 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b FeV im Zeitpunkt der Fahrerlaubnisentziehung am 5.11.2019 wegen Ablaufs der Tilgungsfrist für die Trunkenheitsfahrt aus dem Jahr 2007 am 6.10.2019 nicht mehr vorg...