"… 1. Ein Anspruch des Kl. auf Invaliditätsleistungen setzt einen bedingungsgemäßen Unfall voraus. Ein solcher liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet (Ziff. 1.3 AUB 2012). Kein Versicherungsschutz besteht für medizinische oder sonstige Eingriffe am Körper der versicherten Person und für Heileingriffe (Ziff. 5.2.3 AUB 2012). Impfschäden, die durch “Schutzimpfungen' hervorgerufen sind, sind allerdings mitversichert (Ziff. 5.2.4.4 AUB 2012). Impfschäden werden definiert als “eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende Gesundheitsschädigung'. Die Schutzimpfung muss gesetzlich vorgeschrieben oder angeordnet oder von einer zuständigen Behörde empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen oder sonst ärztlich empfohlen und durchgeführt worden sein."
a) Es wurden medizinische Eingriffe in den Körper des Kl. i.S.d. Ziff. 5.2.3 AUB 2012 vorgenommen. Ein Eingriff in diesem Sinn ist jede äußere physische Einwirkung auf die körperliche Integrität (Bruck/Möller/Leverenz, WG, 9. Aufl., AUB 2008 Rn 24 m.w.N.). Diese muss zudem zu einer Substanzverletzung des Körpers führen oder eine Beeinträchtigung der körperlichen Funktion bezwecken (Prölss/Martin/Knappmann, WG, 30. Aufl., AUB 2010 Rn 55 a; BGH VersR 2014, 59). Beide Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kl. leidet an multipler Sklerose. Aufgrund ärztlichen Rats sind ihm seit 2007 Infusionen mit Natalizumab verabreicht worden. Hierbei wurde ein Zugang zum Blutkreislauf des Kl. durch Stiche in dessen Venen geschaffen. Natalizumab ist ein monoklonaler Antikörper, der die für die Entzündung im Gehirn verantwortlichen körpereigenen Zellen daran hindert, in das Gehirn einzudringen, was vor einem schubweisen Ausbrechen der Erkrankung schützt.
b) Entgegen der Auffassung des Kl. handelt es sich bei der zur Anwendung gebrachten Immuntherapie nicht um eine bedingungsgemäße Schutzimpfung i.S.d. Ziff. 5.2.4.4 AUB 2012; sie ist einer Impfung auch nicht gleichzusetzen.
Der Begriff der Schutzimpfung wird in den Bedingungen weder definiert noch durch Regelbeispiele veranschaulicht. Er ist auslegungsfähig und -bedürftig. AVB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den VN erkennbar sind (…). Grds. unbeachtlich ist demnach die Legaldefinition der Schutzimpfung i.S.v. § 2 Nr. 9 IfSG.
Nach allgemeinem Sprachgebrauch handelt es sich bei einer (Schutz-)Impfung um die Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer (übertragbaren) Krankheit zu schützen. Sie dient der Aktivierung des Immunsystems gegen spezifische Stoffe (…). Vergleichbar hierzu lautet die Beschreibung der (Schutz-)Impfung im Brockhaus wie folgt: “Künstliche Erzeugung einer spezifischen Immunität gegenüber bakteriellen oder viralen Infektionskrankheiten, die bei rechtzeitiger Anwendung den Ausbruch der Krankheit verhindert oder zu einem stark abgeschwächten Verlauf führt'.
Kennzeichnend für eine Schutzimpfung ist demnach die Aktivierung des Immunsystems bzw. die (künstliche) Erzeugung einer Immunität zur Vorbeugung einer Infektionskrankheit. In der Medizin werden im Wesentlichen die aktive und die passive Impfung unterschieden. Bei der aktiven Impfung wird das Immunsystem zur Bildung einer erregerspezifischen Immunkompetenz angeregt, ohne die Infektionskrankheit selbst durchmachen zu müssen. Hierzu dienen Lebend- oder Totimpfstoffe. Nach Eindringen des Impfstoffs in den Körper werden seine Eiweiße (Proteine) und/oder Zuckermoleküle durch im Blut zirkulierende und/oder gewebsständige immunkompetente weiße Blutkörperchen als körperfremde Antigene erkannt. Es folgt die primäre Immunantwort durch erregerspezifische Prägung immunkompetenter Lymphozyten in Form langlebiger Gedächtniszellen. Kommt es zur Infektion, so erkennen die Gedächtniszellen am eingedrungenen Erreger die Antigene des früheren Impfstoffes und bewirken, dass Antikörper produziert und eine zelluläre Abwehr gebildet wird. Bei der passiven Impfung wird dem Empfänger Immunserum injiziert, das in hoher Konzentration Antikörper gegen den Krankheitserreger enthält.
Wenngleich die passive Impfung keine Impfung im medizinischen Sinne ist, da das eigene Immunsystem bei dieser Art der “Impfung' nicht selbst Antikörper herstellt, so ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auch diese Form der Impfung unter den Begriff der Schutzimpfung i.S.d. Bedingungen zu subsumieren. Denn auch durch sie soll eine Infektionskrankheit vermieden werden. Ob dies nun durch die Gabe von spezifischen Antikörpern oder, wie ...