1) Unterbreitet der Geschädigte und Mandant seinem beauftragten Rechtsanwalt den Sachverhalt, der nach Einschätzung des Mandanten zu seiner Erkrankung geführt hat, begründet dies die Pflicht des Anwalts, die Frage der Verursachung der Gesundheitsbeeinträchtigung seines Mandanten durch den benachbarten Betrieb der Bekl. als zentrale Frage der Klagebegründung zu entwickeln. Eingeholte Informationen aus Internet und Lexika vermitteln wertvolle Einschätzungen der Gefahren von Berylium. Dass Berylium bei Verwendung in der Raumfahrt und Raketentechnik sowie in der Herstellung von Spezialporzellan und Glaskörpern überaus gefährliche Dämpfe und Staub bildet, die als Berufskrankheit anerkannt sind, wird die Erstinformation des Anwalts ergeben (vgl. H. F. Wolff "Die BerufskrankheitsVO", Loseblatt-Ausgabe, Stichwort Berylium). Dass der zu verklagende Betrieb die Verwendung von Berylium in Abrede gestellt hat, hindert den naheliegenden Versuch des Anwalts nicht, eine Haftung des Nachbarbetriebes auf eine behauptete Einwirkung von Berylium zu stützen. Die Erkrankung des Mandanten und weiterer Kollegen lassen es als einzig vertretbar erschienen, dass der Nachbarbetrieb für die festgestellte Beryliumvergiftung ursächlich sein kann.

2) Bei seiner Formulierung der Klageschrift muss der Anwalt auf eine substantiierende Darstellung bedacht sein. Die vorliegende Entscheidung des BGH tritt von ihm wiederholt beanstandeten Versuchen der Instanzrechtsprechung entgegen, die bei vergleichbaren Konstellationen eine substantiiertere Darstellung vermisst haben und Beweisantritten des Beweisführers mit der Begründung entgegentritt, es liege ein unzulässiger Versuch eines Ausforschungsbeweises vor.

a) Vortrag "nur" vermuteter Tatsachen

Die fehlende Würdigung von Parteivortrag im Rechtsstreit und die folgerichtige Verweigerung einer Beweisaufnahme wird häufig fehlerhaft darauf gestützt, der Vortrag gebe nur Vermutungen der Partei wieder. Diese Auffassung, der der BGH entgegentritt (Rn 13); ist schon deshalb verfehlt, weil eine Partei im Regelfall keine positive vollständige Kenntnis eines dem Gericht unterbreiteten Sachverhalts hat und die Aufgliederung des Sachverhalts gerade die Aufgabe des Gerichts, insb. unter Hilfe des Sachverständigen, ist. Ob es um die Beurteilung eines Verkehrsunfalls, die Klärung einer behaupteten ärztlichen Fehlbehandlung, um technische Fragen oder wie hier die mögliche schädigende Einwirkung von Immissionen geht, stets ist die Partei weit entfernt von positiver Kenntnis der Details, die Klärung durch das Gericht aber notwendig zur Durchsetzung berechtigter und Ablehnung unberechtigter Ansprüche. Damit entspricht die Zulässigkeit der Behauptung nur vermuteter Tatsachen der Aufgabenteilung zwischen Parteien und Gericht.

Mit der Zulassung nur vermuteter Tatsachen wird nicht Tür und Tor für Behauptungen ins Blaue hinein geöffnet.

Da mit den behaupteten Erkrankungen des Kl. und seiner Kollegen eine Basis für die von ihm behauptete Vermutung der Tätigkeit des benachbarten Betriebes für die Gesundheitsbeeinträchtigungen bestand, lag keine Behauptung "aufs Geratewohl" und damit "ins Blaue" vor, die grundsätzlich unbeachtlich ist und nicht Grundlage für eine Beweisaufnahme sein kann (vgl. BGH NJW 1995, 2111; BGH NJW – RR 1995, 722; OLG Köln MDR 1992, 79).

Ob ein Verbot der Beweisaufnahme ohne konkreten Anhaltspunkt im sonstigen Vorbringen in jedem Falle gilt (so noch ohne Einschränkung BGH NJW 1995, 2111 OLG Köln MDR 1992, 79) ist deshalb zweifelhaft geworden, weil bei der positiven Behauptung der bisher im Vortrag nicht erwähnten Tatsache das Verbot der Beweisaufnahme nicht gelten soll (vgl. BGH NJW 1988, 2100; OLG Köln NJW-RR 1992, 572; vgl. auch Oberheim "Erfolgreiche Taktik im Zivilprozess", 5. Aufl., Rn 941).

b) Ausforschungsbeweis

Restriktive Tendenzen des Beweisverbotes sind auch bei der Behandlung des Ausforschungsbeweises zu erkennen.

Er zeichnet sich dadurch aus, dass auf der ersten Stufe der Beweiserhebung die Gegenstand der zweiten Stufe bildende Klärung der entscheidungserheblichen Tatsache erst in der Weise ermittelt werden soll, dass hierfür auf der ersten Stufe ein Beweis vorbereitet werden soll.

Der Ausforschungsbeweis ist damit auf der ersten Stufe grundsätzlich ein unzulässiger Beweisermittlungsantrag (vgl. Zöller/Greger "ZPO", 34. Aufl. vor § 284 Rn 8c). Einschränkend wird das Verbot dann ausgeschlossen, wenn für die auf der zweiten Stufe zu klärende Behauptung ein konkreter Anlass bestand (vgl. BVerFG WM 2012, 192; BGH NJW 1995, 2111). Letztlich wird das Verbot des Ausforschungsbeweises dadurch überspielt, dass auf der ersten Stufe das Beweisthema in der Weise formuliert wird, dass in das Wissen des Zeugen oder der Partei nicht gestellt wird, ob ein bestimmter Vorgang sich ereignet hat, sondern das etwas geschehen ist (vgl. Oberheim a.a.O. Rn 940). Da auf der ersten Stufe der begehrten Ausforschung der Geschäftsführer der Bekl. den Einsatz von Berylium im Produktionsprozess bestätigen sollte, griff das Verbot ...

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