"… 1. Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch aus §§ 826 Abs. 1, 31 BGB."
Die Bekl. hat den Kl. vorsätzlich geschädigt, indem sie ein Fahrzeug in Verkehr gebracht hat, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen war, die dazu führte, dass zum Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs das Risiko einer Betriebsbeschränkung bzw. -untersagung bestand. Im Einzelnen:
a. Die Wirkungsweise der vom Kraftfahrtbundesamt beanstandeten Software ist zwischen den Parteien nicht im Streit:
Bei Einsatz der Strategie A (Aufheizstrategie) wird die Überschreitung des Nox-Grenzwertes von 80 mg/km sicher vermieden; die Schaltbedingungen, unter denen diese Strategie zum Einsatz kommt, ist aber so eng bedatet, dass sie nahezu ausschließlich im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Dass diese Ausführungen im Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes (Anlage K18) zutreffen, hat die Bekl. nicht in Zweifel gezogen.
Die Software erkennt daher mittelbar die Prüfsituation und entspricht damit im Kern der Abschalteinrichtung in den Motoren EA189, deren Unzulässigkeit der BGH bestätigt hat (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316-352, Rn 2; Rn 17). Es handelt sich auch hier um eine unzulässige, von keinem Ausnahmetatbestand gedeckte (s.u.) Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (so auch: OLG Oldenburg (Oldenburg), Urt. v. 16.10.2020 – 11 U 2/20, Rn 58, juris; OLG Koblenz, Urt. v. 5.6.2020 – 8 U 1803/19, Rn 34 ff., juris).
Die illegale Abschalteinrichtung konnte dazu führen, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV vornahm, weil das Fahrzeug wegen der gegen Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 S. 2 FZV) entsprach (OLG Koblenz, Urt. v. 5.6.2020 – 8 U 1803/19, Rn 34 ff., juris, OLG Oldenburg (Oldenburg), Urt. v. 16.10.2020 – 11 U 2/20, Rn 71, juris). Die Bekl. hat den Kl. in ihrem Anschreiben aus Juli 2019 (Anlage K3) selbst auf diese Gefahr hingewiesen.
b. Die Bekl. handelte bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs sittenwidrig; die Sittenwidrigkeit wirkte auch fort bis zum Vertragsschluss.
aa. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316-352, Rn 15).
bb. An diesen Maßstäben gemessen war das Verhalten der Bekl. – auch im Verhältnis zum Kl. als Gebrauchtwagenkäufer (BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316-352, Rn 16) und auch noch zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH, Urt. v. 30.7.2020 – VI ZR 5/20, Rn 30, juris) – sittenwidrig.
(1) Das Sittenwidrigkeitsurteil beruht maßgeblich auf der vorsätzlichen, dem eigenen Gewinnstreben dienenden Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes zur Erschleichung einer Typengenehmigung und der sich zwangsläufig anschließenden vorsätzlichen Täuschung argloser Käufer, die bei Erwerb eines Fahrzeugs auf dessen Vorschriftsmäßigkeit vertrauen durften.
Den klägerischen Vortrag, die Bekl. habe das Kraftfahrtbundesamtes über den Einsatz der Motorsteuerungssoftware (Strategie A) getäuscht, hat die Bekl. nicht hinreichend bestritten. Der Vorsitzende hat mit der Ladungsverfügung vom 29.10.2020, auf die verwiesen wird, darauf hingewiesen, dass der Senat die Erwiderung der Bekl. (“Eine vom Kl. behauptete vermeintliche Täuschung gegenüber Behörden wäre für den hiesigen Rechtsstreit selbst dann irrelevant, wenn sie denn vorläge.') dahingehend auslegt, dass die vom Kl. behauptete Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes nicht bestritten, sondern nur ihre Entscheidungserheblichkeit in Abrede genommen werden soll. Hierzu hat die Bekl. die ihr gewährte Gelegenheit zur Stellungnahme nicht wahrgenommen. Ein prozessual erhebliches...