OWiG § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 § 66
Leitsatz
1. Die Frage, ob eine Anhörung oder der zugestellte Bußgeldbescheid die Verjährung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. 9 OWiG unterbrechen kann, ist von der Frage der Wirksamkeit oder Fehlerhaftigkeit des Bußgeldbescheids im Sinne des § 66 OWiG zu unterscheiden. Zur Beurteilung der Frage, ob ein wirksamer Bußgeldbescheid im Sinne des § 66 OWiG vorliegt, kann ergänzend auf den Akteninhalt zurückgegriffen werden, was im Rahmen der Prüfung der verjährungsunterbrechenden Wirkung gem. § 33 Abs. 1 OWiG jedoch nicht zulässig ist.
2. Bezogen auf die Ortsangabe ist dabei – sofern der Betroffene nicht ohnehin an Ort und Stelle angehalten wird – keine auf den Meter genaue Streckenangabe erforderlich, sondern die Angabe eines markanten Punktes (Parkplatz, Hausnummer, Gebäude etc.) auf einer längeren Strecke, insbesondere in Zusammenschau mit den weiteren Angaben im Bußgeldbescheid, ausreichend.
OLG Koblenz, Beschl. v. 22.3.2021 – 2 OWi 6 SsBs 20/21
Sachverhalt
Gegen den Betr. erging wegen einer als Führer eines Lkw begangenen fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße i.H.v. 160 EUR mit Fahrverbot. Auf seinen hiergegen gerichteten Einspruch hat das AG mit dem angefochtenen Beschluss gem. § 72 OWiG das Verfahren wegen des Verfahrenshindernisses der Verjährung eingestellt.
Zur Begründung hat das AG ausgeführt: "Es besteht ein Verfahrenshindernis hinsichtlich des Betr., §§ 36 Abs. 1 OWiG, 206a StPO, die Tat v. 16.7.2019 war bereits bei Eingang der Akte bei Gericht am 28.1.2020 verjährt. Sowohl die Anhörung v. 28.8.2019, Bl. 19 ff. d.A. als auch der Bußgeldbescheid vom 15.10.2019, Bl. 37 d.A. sind nicht geeignet, die Verfolgungsverjährung der Geschwindigkeitsüberschreitung v. 16.7.2019 gem. § 33 OWiG zu unterbrechen. Sowohl Anhörung als auch Bußgeldbescheid geben als Tatort die "[Straße], [Gemarkung], Höhe Pumpwerk [Fahrtrichtung]" an. Problematisch ist insoweit, dass die den Tatort auf der über mehrere Kilometer auf der Gemarkung mit gerichtsbekannt verschiedenen Geschwindigkeitsbeschränkungen (100 km/h bzw. 70 km/h) verlaufenden [Straße] konkretisierenden Angabe "Höhe Pumpwerk" für einen Dritten (und auch für das Gericht) nicht nachvollziehbar ist. Selbst eine Internetrecherche (u.a. nach Pumpwerk bei [Ort]) führt nicht zu dem tatsächlichen Messort. Ein Betroffener hat daher ohne Aktenkenntnis (die genaue Tatörtlichkeit ergibt sich nur aufgrund Ortskenntnis aus dem Messprotokoll bzw. dem Messbild) nur aufgrund der Anhörung bzw. des Bußgeldbescheides keine Möglichkeit festzustellen, an welchem Tatort auf der langen Strecke die ihm vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden sein soll. Damit sind Anhörung und Bußgeldbescheid nicht hinreichend bestimmt und vermögen die Verjährung nicht zu unterbrechen. (…)"
Das OLG Koblenz hat auf die Rechtsbeschwerde der StA den Beschluss des AG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
"… Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg."
Zu Unrecht ist das AG davon ausgegangen, dass aufgrund einer unzureichenden Bezeichnung des Tatorts im Anhörungsbogen und Bußgeldbescheid keine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 OWiG eingetreten sei.
Um die in § 33 Abs. 1 OWiG vorgesehene verjährungsunterbrechende Wirkung herbeizuführen, ist eine hinreichende Konkretisierung des Tatgeschehens notwendig. Die Tat muss dabei soweit individualisiert sein, dass sie von denkbaren ähnlichen oder gleichgelagerten Sachverhalten unterscheidbar ist (Göhler, OWiG 16. Aufl., § 33 Rn 56a). Diesen Anforderungen wird der Anhörungsbogen und der im weiteren Verlauf ergangene Bußgeldbescheid gerecht.
Zwar weist das AG zutreffend darauf hin, dass die Frage, ob eine Anhörung oder der zugestellte Bußgeldbescheid die Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bzw. 9 OWiG unterbrechen kann, von der Frage der Wirksamkeit oder Fehlerhaftigkeit des Bußgeldbescheids i.S.d. § 66 OWiG zu unterscheiden ist. Zur Beurteilung der Frage, ob ein wirksamer Bußgeldbescheid i.S.d. § 66 OWiG vorliegt, kann nämlich ergänzend auf den Akteninhalt zurückgegriffen werden, was im Rahmen der Prüfung der verjährungsunterbrechenden Wirkung gem. § 33 Abs. 1 OWiG jedoch nicht zulässig ist (Krenberger/Krumm OWiG, § 66 Rn 36). Selbst bei angenommener Wirksamkeit des Bußgeldbescheids kann die Eignung des Bußgeldbescheids zur Unterbrechung der Verfolgungsverjährung also fehlen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.12.2018 – 2 RBs 257/18, juris; Krenberger/Krumm OWiG, § 33 Rn 8). Dabei ist auf der einen Seite Maßstab der Überprüfung, ob der Betr. den ihm vorgeworfenen Verstoß konkret einem Geschehen zuordnen kann oder ob möglicherweise eine Verwechslungsgefahr mit anderen Sachverhalten besteht (Göhler, a.a.O.), wobei jedoch auf der anderen Seite insb. bei Massenverfahren im Bereich der Ordnungswidrigkeiten, wie dem vorliegenden, keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürf...