ZPO § 103 § 104; VV RVG Nr. 1008 3100
Leitsatz
1. Eine nicht existente Partei kann im Kostenfestsetzungsverfahren die zur Geltendmachung ihrer Nichtexistenz angefallenen Anwaltskosten erstattet verlangen (Anschluss an BGH NJW 2008, 527).
2. Eine nichtexistente Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die neben ihren vermeintlichen Gesellschaftern verklagt wird, ist gebührenrechtlich ein weiterer Auftraggeber im Sinne von Nr. 1008 VV RVG.
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.3.2021 – 9 W 9/21
Sachverhalt
Der Kl. hatte vor dem LG Saarbrücken eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Bekl. zu 1 und deren vermeintliche Gesellschafter als Bekl. zu 2 bis 4 im Wege einer Stufenklage auf Zahlung von Maklerprovision in Anspruch genommen. In seiner für alle Bekl. abgegebenen Verteidigungsanzeige wies der Prozessbevollmächtigte der Bekl. darauf hin, dass die Bekl. zu 1 nicht existiere. Das LG Saarbrücken hat die Klage hinsichtlich der Bekl. zu 1 als unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen und dem Kl. die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
In ihrem Kostenfestsetzungsantrag haben die Bekl. – soweit hier von Interesse – eine nach Nr. 1008 VV RVG um den Satz von 0,9 erhöhte Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV RVG geltend gemacht. Diesen Ansatz haben sie darauf gestützt, ihr Prozessbevollmächtigter habe drei weitere Auftraggeber gehabt. Die Rechtspflegerin des LG Saarbrücken hat lediglich eine um den Satz von 0,6 erhöhte Verfahrensgebühr festgesetzt. Dies hat sie damit begründet, die Bekl. zu 1 habe als nicht existente Partei keine wirksame Prozessvollmacht erteilen können.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte beim OLG Saarbrücken Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"… II. Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde (§ 104 Abs. 3 i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Beschwerdewert gem. § 567 Abs. 2 ZPO ist erreicht."
Die sofortige Beschwerde ist begründet. Das LG hat zu Unrecht die Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit einer Gebührenerhöhung gem. Nr. 1008 VV RVG in dem von den Bekl. geltend gemachten Umfang verneint.
Aufgrund der im Erkenntnisverfahren getroffenen Feststellungen ist auch für das Kostenfestsetzungsverfahren davon auszugehen, dass die Bekl. zu 1 als Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht existiert. Nach st. Rspr. ist eine nicht existente Partei in einem gegen sie angestrengten Prozess insoweit als parteifähig zu behandeln, als sie ihre Nichtexistenz geltend macht (BGH, Urt. v. 11.4.1957 – VII ZR 280/56, BGHZ 24, 91, 94; Beschl. v. 13.7.1993 – III ZB 17/93, NJW 1993, 2943, 2944; Beschl. v. 7.6.2018 – V ZB 252/17, Grundeigentum 2018, 1400 Rn 10). Die Fiktion der Parteifähigkeit erstreckt sich auch auf das anschließende Kostenfestsetzungsverfahren (BGH, Beschl. v. 12.5.2004 – XII ZB 226/03, AGS 2004, 311 = RVGreport 2004, 318 [Hansens]). Das gilt jedenfalls dann, wenn die beklagte Partei im Rechtsstreit ihre mangelnde Existenz geltend gemacht hat und dadurch Kosten entstanden sind. Dabei sind auch die Kosten desjenigen zu berücksichtigen, der für die nicht existente Partei einen Rechtsanwalt beauftragt hat (BGH, Beschl. v. 27.9.2007 – VII ZB 23/07, zfs 2007,710. m. Anm. Hansens = NJW 2008, 527 Rn 14). Diese Kosten kann die nicht existente Partei zu ihren Gunsten festsetzen lassen (BGH, Beschl. v. 10.10.2007 – XII ZB 26/05, NJW 2008, 528 Rn 16).
Die Bekl. zu 1, die sich im Prozess auf ihre Nichtexistenz berufen hat, hätte daher, wenn sie alleine verklagt worden wäre, im Kostenfestsetzungsverfahren die Erstattung der zur Geltendmachung ihrer Nichtexistenz angefallenen Anwaltskosten erstattet verlangen können. Hieran ändert sich im Grundsatz nichts dadurch, dass die Klage sich zugleich gegen die vermeintlichen Gesellschafter der Bekl. zu 1 richtete. Dieser Umstand hatte keinen Einfluss auf die Notwendigkeit, auch für die als Partei in den Prozess einbezogene Bekl. zu 1 einen Rechtsanwalt damit zu beauftragen, die Nichtexistenz der Gesellschaft gegenüber dem Gericht geltend zu machen.
Folge des Vorhandenseins mehrerer Bekl. ist gem. Nr. 1008 VV RVG eine Erhöhung der Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) um 0,3 für jeden weiteren Auftraggeber des Beklagtenanwalts. Dabei bemisst sich die Anzahl der Auftraggeber nicht allein danach, wie viele natürliche Personen dem Rechtsanwalt einen Auftrag erteilen, sondern auch danach, für wen sie dies tun. Ein Rechtsanwalt, der von ein und derselben natürlichen Person im eigenen Namen und als Vertreter eines anderen mandatiert wird, hat demgemäß zwei Auftraggeber i.S.v. Nr. 1008 VV RVG, weil er die Rechtsangelegenheiten von zwei Personen behandelt (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., 1008 VV Rn 44).
Der hier gegebene Fall, in dem der Prozessbevollmächtigte den Auftrag erhält, sich gegenüber dem Gericht auf die Nichtexistenz eines weiteren Bekl. zu berufen, ist nicht anders gelagert und rechtfertigt ebenfalls eine Gebührenerhöhung gem. Nr. 1008 VV RVG. Dafür spricht auch der Zweck der Regelung, durch die der mit einer Mehrheit von Auftraggebern typischerweise einhergehend...