Einmal tief durchatmen und dann hinein in die Details. Manchmal muss man eine eingesandte Entscheidung auch deshalb auswählen und besprechen, weil sie inhaltlich schlicht falsch ist.

Zunächst einmal sind die Behauptungen des OLG zum Rotlichtverstoß nicht zutreffend und auch das KG ist falsch zitiert. Denn dort heißt es (nur und zudem zutreffend), dass es für einen einfachen Rotlichtverstoß der Feststellung bedarf, dass der Betroffene bei (1) Rot die (2) Haltelinie überfahren hat und (3) in den Kreuzungsbereich eingefahren ist. Denn wäre (3) nicht erfüllt, würde es sich erst gar nicht um einen Rotlichtverstoß handeln: Ein bloßes Überfahren der Haltelinie stellt keinen Rotlichtverstoß, sondern allein eine Zuwiderhandlung gegen Zeichen 294, § 49 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. § 24 StVG dar, wenn der Fahrzeugführer noch vor dem inneren geschützten Kreuzungsbereich anhält (BayObLG zfs 1994, 467; BeckOK StVR/Ritter StVO § 37 Rn 63). Und der einfache Rotlichtverstoß ist auch gerade nicht – im Rechtsfolgenbereich – in Ziffer 132.3 BKat enthalten, sondern dort sind nur die drei Varianten des so genannten "qualifizierten" Rotlichtverstoßes abgebildet. Hierzu ist – ebenfalls die obige Entscheidung korrigierend – anzumerken, dass die Varianten "Gefährdung" oder "Sachbeschädigung" rein gar nichts mit der verstrichenen Rotlichtzeit zu tun haben. Das Tatgericht hat also hier einen qualifizierten Rotlichtverstoß in der Variante Nr. 132.3 BKat festgestellt, aber eben keinen "einfachen" Rotlichtverstoß (generell Busch/Krenberger, Der Rotlichtverstoß als verkehrsrechtliches Problem, DAR 2015, 48). Denn ansonsten käme man nicht zur Regelfolge Fahrverbot.

Nun zur Rechtsfolgenseite im Weiteren (denn auch die Frage der Qualifizierung des Rotlichtverstoßes ist eine Frage der Rechtsfolgenbemessung, nicht des Tatbestands, worauf der Tatrichter bei Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen genau zu achten hat!). Das Tatgericht hat hier zum einen ein "Augenblicksversagen" bejaht und zugleich § 4 Abs. 4 BKatV angewendet. Das ist grob falsch und wurde leider auch vom OLG nicht erkannt (zur Systematik BeckOK StVR/Krenberger StVG § 25 Rn 46-48). Zuzugestehen ist beiden Instanzen, dass das OWiG und die BKatV die inhaltlich unterschiedlichen Alternativen "kompensationsloser Wegfall des Fahrverbots" und das "Absehen vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße" nicht sauber trennen. Semantisch werden die beiden Alternativen weder im Gesetzestext (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 OWiG und § 4 Abs. 4 BKatV nutzen leider denselben Begriff "absehen"), in der Rechtsprechung noch in der Literatur kaum einmal richtig unterschieden. Dies ist jedoch nötig. Denn im Gegensatz zur Entscheidung nach § 4 Abs. 4 BKatV, bei welcher der Tatrichter eine Ermessensentscheidung darüber treffen muss, ob es eines Fahrverbots als Denkzettelmaßnahme bedarf, um auf den Fahrzeugführer einzuwirken, oder ob es verkehrserzieherisch auch ausreicht, den Eindruck des Verfahrens sowie einer möglichen Hauptverhandlung auf den Betroffenen zuzüglich der signifikanten Erhöhung der Geldbuße (in den Grenzen des § 17 OWiG, Krenberger/Krumm OWiG § 17 Rn 5) genügen zu lassen, ist bei der Prüfung des Wegfalls des Fahrverbots das Ermessen allenfalls für die Bewertung der Situation und der ihr zugrundeliegenden Tatsachen und Indizien gegeben, nicht aber für die Frage, ob die Rechtsfolge angeordnet werden darf. Denn der Tatrichter hat, wenn die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 StVG nicht gegeben sind, kein Ermessen darüber, ob er vom Fahrverbot "absieht": vielmehr darf er es gar nicht anordnen. Und erst recht darf dann keine Erhöhung der Geldbuße erfolgen (spezifisch für den Fall des Augenblicksversagens OLG Bamberg BeckRS 2015, 20269; OLG Karlsruhe NJW 2003, 3719). Denn das Augenblicksversagen beseitigt den Handlungsunwert des Verstoßes (BeckOK StVR/Krenberger StVG § 25 Rn 51), der wiederum schon nach dem Wortlaut des § 25 StVG eine zwingende Anordnungsvoraussetzung für die Nebenfolge Fahrverbot ist. Das heißt, bei Fehlen des Handlungsunwerts darf der Tatrichter kein Fahrverbot anordnen und erst recht darf er nicht die Geldbuße erhöhen.

RAG Dr. Benjamin Krenberger

zfs 7/2022, S. 409 - 411

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