StVG § 7 § 17 § 18; BGB § 249 § 254 § 823 Abs. 1; VVG § 115; StVO § 21a Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Hat der Geschädigte bestimmte Verletzung bei einem Verkehrsunfall nur deshalb erlitten, weil er entgegen § 21a Abs. 1 S. 1 StVO nicht angeschnallt war, so darf das darin liegende Mitverschulden nicht in der Weise berücksichtigt werden, dass bei der Bewertung der Schadensersatzansprüche sämtliche Verletzungen außer Betracht gelassen werden, die der Geschädigte nicht erlitten hätte, wenn er zum Zeitpunkt des Unfalls angeschnallt gewesen wäre; denn auch insoweit ist er durch die rechtswidrige Tat des Schädigers verletzt worden. (Rn. 48)
2. Vielmehr sind richtigerweise zunächst sämtliche unfallbedingten Verletzungen des Geschädigten zu erfassen. Erst auf der zweiten Ebene bei Bildung der (einheitlichen) Haftungsquote ist zu berücksichtigen, welche Verletzungen der Geschädigte nicht erlitten hätte, wäre er angeschnallt gewesen. (Rn 48 – 49)
OLG München, Urt. v. 19.1.2022 – 10 U 4672/13
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[1] A. Der Kläger macht gegen den Beklagten Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz aus dem Verkehrsunfall vom 8.1.2005 gegen 11:30 Uhr auf der B 85 am sogenannten M. B., Landkreis R., geltend. Der Kläger saß als Beifahrer nichtangegurtet auf dem vorderen Beifahrersitz im Pkw VW Passat des T. L., der dieses auf der B 85 von R. kommend in Richtung V. lenkte. Zur gleichen Zeit befuhr die Versicherungsnehmerin des Beklagten, Frau D. A., mit dem bei dem Beklagten krafthaftpflichtversicherten Pkw VW Polo mit dem amtlichen Kennzeichen … 79 aus Richtung V. kommend die B 85 in Richtung R. Auf Höhe des M. B. geriet diese auf die Gegenfahrbahn und stieß dort frontal mit dem Fahrzeug des T. L. zusammen. D. A. wurde dabei getötet, der Kläger wurde beim Unfallgeschehen erheblich verletzt. Die Haftung des Beklagten dem Grunde nach war von Anfang an unstreitig. Streitpunkt zwischen den Parteien ist jedoch insbesondere die Frage, welche Auswirkungen es hatte, dass der Kläger nicht angegurtet gewesen ist. Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urt. v. 30.10.2013 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
[2] Mit rechtskräftigem Grundurteil vom 25.2.2008 entschied das Landgericht Deggendorf, dass der Klageantrag zu 1) des Klageschriftsatzes vom 23.5.2007 dem Grunde nach zu 80 % gerechtfertigt ist.
[3] Im Folgenden hat das Landgericht Deggendorf nach Beweisaufnahme insbesondere aufgrund der erholten unfallanalytischen Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. R., der erholten orthopädisch-unfallchirurgischen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. sowie des erholten nervenärztlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. He. den Beklagten mit Endurteil vom 30.10.2013 verurteilt, an den Kläger 13.748,70 EUR sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 899,40 EUR zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme hat sich das Landgericht davon überzeugt, dass der Kläger bei dem streitgegenständlichen Unfall wesentlich weniger verletzt worden wäre, wenn er beim Unfallgeschehen den Sicherheitsgurt angelegt gehabt hätte. Bei der Bemessung der angemessenen Schmerzensgeldhöhe hat das Landgericht nur die Verletzungen des Klägers berücksichtigt, die dieser auch in angegurtetem Zustand erlitten hätte, und taxierte dabei den dem Kläger zustehenden Schmerzensgeldanspruch auf 15.000,– EUR. Die erheblichen Verletzungen des Klägers, die dieser infolge des Nichtangegurtetseins erlitten hatte, hat das Landgericht hierbei vollständig unberücksichtigt gelassen. Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Endurteils Bezug genommen.
[4] Gegen dieses dem Kläger am 31.10.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem beim Oberlandesgericht München am 29.11.2013 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem beim Oberlandesgericht München am 7.3.2014 eingegangenen Schriftsatz begründet. Der Kläger hat dabei insbesondere die Richtigkeit und die Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung des Landgerichts hinsichtlich des Streitpunktes, welche Verletzungen des Klägers bei dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen nicht eingetreten wären, wenn dieser angegurtet gewesen wäre, gerügt. Dabei hat der Kläger die Ansicht vertreten, dass er auch angegurtet grundsätzlich die gleichen Verletzungen erlitten hätte, so dass sich der ihm zustehende Anspruch auf angemessenes Schmerzensgeld auf mindestens 150.000,– EUR beläuft. Ergänzend wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz Bezug genommen.
[5] Der Kläger beantragt unter Abänderung des angefochtenen Urteils sowie nach teilweiser Rücknahme der Berufung,
I. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger weitere 7.714,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
II. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Kl...