VVG § 172; BB-BUZ § 1
Leitsatz
1. Die Annahme von Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen kann auch dann auf ein an die konkrete Berufstätigkeit anknüpfendes Gutachten gestützt werden, wenn dieses keine Diagnose nach dem ICD-Schlüssel enthält.
2. Eine Umorganisation seines Betriebes, die bei einem mitarbeitenden selbstständigen Friseurmeister dazu führt, dass die zuvor in erheblichem Umfang ausgeübte handwerkliche Tätigkeit vollständig wegfällt, ist ihm auch dann nicht zumutbar, wenn es sich um einen größeren Betrieb (hier: bis zu 10 festangestellte Friseure und insgesamt 15-19 Mitarbeiter) handelt.
OLG Dresden, Urt. v. 22.2.2022 – 4 U 1585/21
Sachverhalt
Der Kl. unterhält bei der Bekl. eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Zuletzt betrieb er von 2003 bis 2015 selbstständig einen Salon, in dem er wechselnd ca. 15 bis 19 Mitarbeiter beschäftigte, darunter durchschnittlich drei Lehrlinge pro Jahr, zwei Rezeptionistinnen und eine Kosmetikerin.
Im Januar 2004 wurde der Kl. an der linken Hand wegen Fibromatose der Strecksehnen (gutartige Bindegewebswucherung) operiert. Am 18.7.2014 stellte er sich wegen Schmerzen in beiden Armen, die von der Halswirbelsäule bis in die Hände zögen und links stärker seien, bei seinem Hausarzt vor. Es wurde Arbeitsunfähigkeit festgestellt, und seine Krankentagegeldversicherung erbrachte daraufhin Leistungen. Diese teilte im Juli 2015 mit, dass sie die Zahlungen wegen Vorliegens von Berufsunfähigkeit einstellen werde. Der Kl. stellte daraufhin um Juli 2015 einen Antrag bei der Bekl. auf Zahlung von Berufsunfähigkeitsrente. Die Bekl. lehnte ihre Eintrittspflicht mit Schreiben vom 28.9.2015 mit der Begründung ab, es sei dem Kl. eine Umorganisation seiner beruflichen Tätigkeiten möglich.
2 Aus den Gründen:
Zu Recht hat das Landgericht einen Anspruch des Kl. gemäß §§ 1, 3 AVB BUV gegen die Bekl. auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente … Dem Kl. ist der Beweis dafür, dass bei ihm Berufsunfähigkeit im Juli 2015 eingetreten ist, gelungen.
1. Er hat sein Berufsbild ebenso wie die Einschränkungen in der Berufsausübung, die sich aus seiner Erkrankung ergeben, schlüssig dargelegt und auch zur Überzeugung des Senats i.S.d. § 286 ZPO bewiesen.
Grundsätzlich ist hierfür die letzte konkrete Berufsausübung maßgebend, so wie sie "in gesunden Tagen" ausgestaltet war, d.h. solange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht eingeschränkt war (…). Dazu muss bekannt sein, wie das Arbeitsumfeld des Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt. Als Sachvortrag genügt dazu nicht die Angabe des Berufsbildes und der Arbeitszeit, vielmehr muss eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden (…). Es darf dabei nicht aus dem Blick geraten, dass die Klärung des Berufsbildes vornehmlich den Zweck verfolgt, dem Sachverständigen die notwendigen tatsächlichen Vorgaben zur medizinischen Beurteilung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit in die Hand zu geben (…).
Der Kl. hat eine typische Arbeitswoche beschrieben, die vom LG vernommene Zeugin F … hat seine Angaben bestätigt. Darüber hinaus hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seine Berufstätigkeit überzeugend geschildert (wird ausgeführt).
2. Dem Kl. ist auch der Beweis dafür gelungen, dass er seit August 2015 bedingungsgemäß berufsunfähig und zu mindestens 50 % außerstande ist, seinem zuletzt vor Eintritt dieses Zustands ausgeübten Beruf nachzugehen. Der SV Prof. Dr. B … hat auch für den Senat überzeugend Berufsunfähigkeit als Friseurmeister in medizinischer Sicht festgestellt. Er hat hierfür den Kl. untersucht und eine MRT-Untersuchung an den Sehnen der Hand veranlasst und auf dieser Grundlage morphologisch Rezidive der Knoten in den Strecksehnen D 3 und D 4 von erheblicher Größe dokumentiert. Die Verdickung der Sehne mit dem sich einschließenden Sehnenhäubchen über dem Gelenk führe zwar nicht unbedingt zu einer Bewegungseinschränkung, solange die Sehne in der Kontinuität intakt bleibe. Das Problem sei aber die Schmerzhaftigkeit durch die Umgebungsreaktion. Die Verdrehung der Hand, die Beugung und das Öffnen und Schließen der Finger, z.B. beim Halten von längeren Haaren in Portionen, könnten schmerzhafte Zustände verursachen, die auch auf die Nerven zurückwirkten. Es müsse dann von einem Friseur eine andere Position eingenommen werden, um derartige Schmerzen zu vermeiden, was wiederum zu Wirbelsäulenbeschwerden, vor allem an der Halswirbelsäule und der unteren Lendenwirbelsäule führe. So sei der Zusammenhang zwischen den Tumoren an den Sehnen der linken Hand, der Einengung des Spinalkanals an der Halswirbelsäule und den degenerativen Veränderungen am mittleren Teil der Lendenwirbelsäule herzustellen. Die Situation sei im Jahr 2014 dekompensiert und habe zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit geführt. Die jetzige Situation habe sich zwar gebessert (Begutachtung im Sommer 2019). Eine Neuaufnahme der Tät...